Lazyboy
eine Windabzweigung, lasse mich in Richtung St. Pauli blasen.
Als ich mit meinem Schlüssel an meinem Haustürschloss herumkratze, fühle ich mich wie ein Eindringling. Als würde ich etwas Verbotenes tun. Als würde die Wohnung es sich verbitten, von mir betreten zu werden. Als müsse man sich das Recht zum Betreten durch Anwesenheit erwerben, durch Fürsorge und Liebe, die man den Räumen angedeihen lässt. Es fühlt sich an, als würde sich das Schloss dagegen sträuben, von mir geöffnet zu werden. Schweiß tritt mir auf die Stirn. Dann aber mache ich mich groß und trotze dem Schloss, ich öffne es, drehe den Schlüssel mit heroischem Schwung und betrete die Wohnung. Wieder eine Tür, die mich in den richtigen Raum transportiert, ein Fortschritt. Die Wohnung riecht muffig, als wäre hier irgendetwas in meiner Abwesenheit gründlich verdaut worden. So muss es für Jonas gewesen sein, als er seinerzeit in den von Gott gesandten Walmagen geriet, meine Wohnung die architektonische Entsprechung zu Walmagen, vielleicht sollte ich mich erst einmal drei Tage verkriechen. Ich gehe durch die Räume und öffne die Fenster. Ich setze mich an den Küchentisch und starre auf die Rechnungen und Postwurfsendungen, die sich im Briefkasten befunden haben. Ich blicke mich im Raum um. Ich sehe meine Hände an, die sich selbsttätig reiben.
Ich muss an Monika denken, die in meiner Küche steht und kocht, die ein Essen für uns beide improvisiert aus Dingen, die sie in meiner Küche findet, und Dingen, die sie glücklicherweise eingekauft und mitgebracht hat. Sie steht da und schneidet Kohlrabi in Streifen, während ich am Tisch sitze und eine Flasche Rotwein entkorke und dabei ihrem schönen Rücken zusehe in einem türkisen Männerhemd, sie lacht und erzählt von einer Theaterinszenierung, bei der sie gewesen sei und von der anschließenden Premierenparty, die sie mit Laura besucht habe, und von dem eitlen Regisseur, der immer so überdeutlich laut und nachdrücklich spreche, auch wenn er die belanglosesten Dinge sage, als hänge der ganze Raum, die ganze Theaterkantine an seinen Lippen, als wende er sich direkt an die Nachwelt, dabei sei er ein totaler Idiot und die Inszenierung miserabel gewesen, und in Wirklichkeit habe sich niemand für ihn interessiert, weil er außerdem hässlich sei.
Ich denke an Monika, die einen meiner Schlafanzüge trägt, sie steht in der Tür des Badezimmers mit der Zahnbürste im Mund, Schaum läuft ihr über das Kinn, und sie sieht mich an und kommt auf mich zu, sie lächelt, ihre Augen blitzen, weil sie vorhat, mich zu küssen, mir ihren Schaum auf den Mund und auf die Wange zu drücken. Sie kommt auf mich zu und hat Mühe zu gehen, weil die Beine der Schlafanzughose viel zu lang für sie sind und über ihre Füße lappen, eine Charlie-Chaplin-Nummer.
Monika, die sagt, irgendwie sieht es hier siffig aus. Wenn wir irgendeines Tages in einem fernen Leben, durch Zeit und Raum von diesem getrennt, vielleicht doch einmal zusammenleben sollten, dann muss sich aber einiges verändern an deinem Verhalten. Ich habe vor, mir einen attraktiven Hausmann heranzuzähmen, der nackt mit der Zahnbürste in der Hand die Badezimmerfliesen scheuert, den ich dreimal die Woche zum Work-out schicke, der umsichtig ist und mir Scotch nachschenkt, falls dieser mir auf meiner Ottomane auszugehen droht.
Gewiss, Herrin, hatte ich gesagt und über ihren Handrücken geleckt, was sie besonders eklig findet. Sie hatte gequiekt und ihre Locken geschüttelt.
Im Flur ziehe ich mir Schuhe an, Halbschuhe aus braunem Leder, die gut zu der braunen Hose passe, die ich trage. Und ich stelle fest, dass ich mich alleine fühle, einsam, allein gelassen. Mir fehlt Daphne, mir fehlt der Lehrer, mir fehlt Daniela, und natürlich fehlt mir Monika. Ich bin lange nicht alleine gewesen.
Ich nehme den Bus in die Klinik. Ich halte eine Zeitung zwischen mich und die Welt. In der Zeitung steht, dass ein Rentnerehepaar beim Absturz eines Wasserflugzeugs auf der Elbe zu Tode gekommen ist. Der Pilot habe vergessen, das Fahrwerk einzuziehen, bei der Landung des Flugzeugs auf dem Wasser habe sich die Maschine deshalb im Moment der Berührung mit der Oberfläche augenblicklich überschlagen. Der Pilot selbst habe sich befreien können, das ältere Ehepaar aber habe kopfüber in den Gurten gehangen und Wasser geschluckt. Jede Hilfe sei zu spät gekommen. Ein untrainierter Mensch könne zwischen ein und drei Minuten ohne Sauerstoff auskommen, danach folge
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