Lazyboy
Ihnen so ehrlich wie möglich, was ich darüber denke.«
»Das ist gut«, sage ich und blicke der Reihe nach die Stifte auf ihrem Schreibtisch an, viele bunte Stifte. Ich atme tief durch.
Sie nickt mir aufmunternd zu und zückt einen sehr schön gestalteten Kugelschreiber. Der war bestimmt nicht billig, dieser Kugelschreiber.
»Es geht um Türen«, sage ich.
»Um Türen?«
»Ja«, sage ich.
»Sie sind hier, um mit mir über Türen zu sprechen.«
»Genau.«
»Hm«, sagt sie. »Und weiter? Wie genau?«
»Tja«, sage ich. Dann gebe ich mir einen Ruck. Irgendwo muss es ja raus. Ich erzähle ihr von meinem Problem mit den Türen. Zwischendrin mache ich eine Pause, in der ich mich traue, sie anzugucken. Ihre großen, blauen, ernsten, traurigen Augen ruhen auf mir, sie saugen mich auf wie Löschpapier.
»Hm«, macht Frau Merbold, als ich geendet habe. »Und das ist gehäuft aufgetreten?«
»Ja«, sage ich.
»Immer, wenn Sie durch eine Tür gehen?«
»Nein, nicht immer.«
»Sind es bestimmte Türen, bei denen es auftritt? Oder sind es bestimmte Situationen innerer oder äußerer Natur, in denen das Phänomen dieses, ja, Raumsprungs auftritt?«
»Nein, es kann überall und nirgends passieren. Ich kann kein Muster feststellen.«
»Hm«, macht sie.
»Und?«, frage ich.
»Spannend«, sagt sie und reibt sich das Kinn.
»Glauben Sie mir?«
»Warum sollte ich Ihnen nicht glauben?«
»Ich meine, halten Sie so etwas für denkbar?«
Sie sagt: »Ich glaube, dass Sie glauben, was Sie mir erzählen, dass Sie es so erleben, wie Sie es schildern, das ist für mich erst einmal das Wichtige. Ich weiß selbst nicht genau, was ich alles für möglich halte.«
»Glauben Sie, dass ich verrückt bin?«
»Schwer zu sagen. Sie machen erst einmal nicht den Eindruck auf mich, aber für so eine Aussage muss man sich eigentlich mehr Zeit lassen und mehr über einen Menschen wissen.«
»Können Sie mir helfen?«
»Wobei soll ich Ihnen helfen?«
»Müssen Sie alles mit einer Gegenfrage beantworten?«
»Wäre es Ihrer Meinung nach besser, dies nicht zu tun?«
»Keine Ahnung«, sage ich.
»Wobei soll ich Ihnen helfen?«
»Das soll aufhören, das mit den Türen. Ich will das nicht, es macht mein Leben kompliziert.«
»Aber auch aufregend, oder?«
»Ja, aber es ist zu verwirrend. Ich will nicht verrückt sein.«
»Tja«, sagt sie. »Das scheint mir nachvollziehbar. Ich muss Ihnen allerdings ehrlich sagen, dass ich Ihnen nichts versprechen kann. Es muss nicht sein, dass Ihr Erleben aufhört, bloß weil Sie hierherkommen und wir darüber sprechen. Ich denke, wir sollten beide erst einmal besser darüber Bescheid wissen, wir sollten versuchen, es zu verstehen.«
»Aha«, sage ich etwas enttäuscht.
»Wissen Sie was, versuchen Sie es doch einmal mit einem Türentagebuch. Schreiben Sie ganz genau auf, wann und wie, in welcher Situation, unter welchen Umständen das Phänomen auftritt oder, noch besser, schreiben Sie, als Hausaufgabe, einmal minutiös auf, durch welche Türen Sie an einem Tag gehen. Notieren Sie jede einzelne Tür, die Ihnen an einem Tag begegnet.«
»Das ist aber aufwendig«, sage ich. »Ständig anhalten zu müssen und irgendwelche Türen aufzuschreiben.«
»Klar, Lösungen sind im seltensten Fall einfach zu haben.«
»Haben Sie diesen Satz im Studium gelernt?«
»Unter anderem, ja. Sehr nützlich, so ein Studium. Haben Sie studiert?«
»Jawohl«, sage ich.
»Und was, wenn ich fragen darf?«
»Kunstgeschichte und Philosophie.«
»Mit Abschluss?«
»Äh, nein«, sage ich.
Sie macht ein Dachte-ich’s-mir-doch-Gesicht und notiert sich etwas, zum ersten Mal.
»Gut«, sagt sie und drückt die Fingerspitzen beider Hände vor ihrem Gesicht gegeneinander. »Erzählen Sie mir für den Anfang doch etwas mehr von sich, damit ich einen besseren Eindruck von Ihnen erhalte und ich Ihnen Ihre Fragen, ob ich Ihnen glaube, zum Beispiel, profunder beantworten kann.«
»Wenn es sein muss.«
»Vermutlich ja. Es könnte helfen.«
»Na dann«, sage ich. »Wo fange ich an?«
»Lazyboy ist also nicht Ihr richtiger Name. Vielleicht erzählen Sie mir als Erstes, warum Sie sich Lazyboy nennen, was halten Sie davon? Ist das okay?«
»Okay«, sage ich, und dann erzähle ich vom Lazyboy.
9
»Geil«, sagt Mirko und grinst mich an. Wind bewegt die beiden Strähnen, die er sich zu Hause sorgsam über seine verlängerte Stirn gekämmt hat. Mirko ist Brillenträger und wie kein Zweiter in der Lage, einnehmend breit zu
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