Lazyboy
eine Handelskooperation, verkörpert durch Sie gewissermaßen.«
Der Mann im grauen Anzug reicht dem Bürgermeister eine riesige Flüstertüte. Die Blaskapelle spielt auf sein Zeichen hin einen Tusch. Erwartungsvolles Schweigen macht sich unter den versammelten Beekern breit.
»Mittler«, sagt der Bürgermeister mit salbungsvoller, wohlklingender Stimme durch die Flüstertüte, an die Allgemeinheit gewandt. »Richte unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Wand aus, dass wir an sie denken, dass wir im Herzen bei ihnen sind. Sag ihnen, dass wir an die denken, denen wir familiär oder freundschaftlich verbunden sind. In dieser Stunde fühlen wir uns als Teil eines Beeks und sind voller heißer Freude beim Gedanken an den Tag, an dem diese Wand endgültig überwunden sein und es nur noch ein einziges, großes, ungeteiltes Beek geben wird. Daran glauben wir, und dieser Tag ist der Anfang. Frieden und Einheit, das ist, wonach wir streben. Es ist nur ein kleiner Schritt für den Mittler, aber es ist ein großer Schritt für uns, für Beek.«
Dann lässt er sich eine mit einem goldenen Band umwickelte Schriftrolle geben und reicht sie mit einem feierlichen Gesichtsausdruck an mich weiter.
Auf ein Zeichen des Lehrers hin beginnt die Kapelle so etwas wie Musik zu spielen, schräg und schief und unrhythmisch stampfend und rollend, und der rosafarbene Mädchenchor beginnt in hohen Tönen zu jaulen und zu fiepen, und in den Gesichtern der versammelten Beeker ist dasselbe einheitliche Entzücken eingegraben, hie und da wischt man sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Ich suche Danielas Gesicht in der Menge, aber ich kann sie nicht ausmachen.
Ich stakse mit seltsam steifen Beinen die Holztreppe hinunter.
In staubdicker Stille bin ich alleine über die Brücke gegangen. Alleine stehe ich vor der Tür, gerade wie noch nie in meinem Leben, das Gras Beeks unter den Füßen, eine Hand auf den Türrahmen gelegt.
Ich blicke in konturloses, undurchdringliches Weiß. Menschen sind nicht für ein solches Weiß gemacht. Wenn ein Nebel jemals so dick wird, bleiben wir stehen und greifen nach etwas, um uns daran festzuhalten, so wie ich jetzt nach dem Türrahmen greife. Ich spüre die Blicke Hunderter Beeker in meinem Rücken, ich spüre die gebündelten Erwartungen, aber trotzdem bin ich in diesem Augenblick vollkommen alleine mit dem Weiß, weder zieht es mich zu sich hinein noch stößt es mich von sich weg, es ist dort auf der anderen Seite und ich bin hier, und im Grunde haben wir nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Ich bin hier, ich bin das Leben, und dort ist alles das, was Leben ausschließt.
Andererseits, was soll schon passieren?
Ich bin so oft durch Türen gegangen. Ich bin schon so oft irgendwo angekommen, wo ich nicht hinwollte. Ich höre das Getöse wieder, die Anfeuerungen, meine Aufmerksamkeit pegelt diese Geräusche langsam wieder über die Schwelle des Wahrnehmbaren, den erwartungsvollen Jubel in meinem Rücken. Ich seufze. Ich strecke meine Glieder. Ich schüttele meine Beine aus. Ich bin der Mittler. Es ist meine Aufgabe. Und ja, ich habe auch eine Verantwortung übernommen, Herr Lehrer.
Ich schiebe mein Gesicht über die Schwelle und blicke auf die andere Seite der Wand, ganz einfach. Ich befinde mich auf einer Insel im Beeksee. Am anderen Ufer hängen Weiden ihre langen Zweige in den warmen Wind, auch hier ist es Sommer. Die Rosen blühen, Gänseblümchen sprenkeln die Wiesen des Parks hinter den Weiden. In der Ferne erkenne ich weiße Villen, weiter hinten einen hohes, modernes Bauwerk, an einen Funkturm erinnernd. Menschen spazieren durch den Park, zwei Jogger laufen nebeneinanderher, eine Frau geht mit einem Cockerspaniel Gassi, niemand bemerkt mich. Mein Gesicht befindet sich auf der einen, mein Körper noch auf der anderen Seite.
Ich überdenke die Möglichkeit, dass die Menschen in diesem Teil der Stadt vielleicht nach wie vor ganz zufrieden mit dem Vorhandensein der Wand sein könnten. Dass ein Mittler wie ich gar nicht so gerne gesehen ist. Dass für sie immer noch Krieg ist. Dass ich um die Unversehrtheit von Leib und Seele fürchten muss. Ich trete auf die Insel auf der anderen Seite der Wand hinaus, zwischen zerrupftes Gras und Gänsescheiße. Ich betrachte den Park am anderen Ufer.
Und jetzt? Ist irgendetwas anders an mir?
»Ich bin der Mittler«, sage ich versuchsweise, tatsächlich, ich bin einfach so durch die Schicksalstür der Stadt gegangen.
»Hallo«, rufe ich einem alten
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