Lazyboy
erstrecken sich, vereinzelt stehen Holzhütten, Werkzeugschuppen am Rand. Am gegenüberliegenden Ufer erstreckt sich ein Golfplatz. Nach einer Weile komme ich an einer Weide vorbei, auf der grotesk kleine Ponys weiden, groß wie Cockerspaniel, ich habe so etwas noch nie gesehen. Menschen begegne ich nicht mehr.
Irgendwann wird mir klar, dass ich in der Einöde gelandet bin. In jener Landschaft, die die Bewohner Beeks die Einöde nennen. Es gibt keine Bäume mehr. Da sind nur noch niedrige Büsche, Gräser, Sträucher, so weit das Auge reicht. Und die Beek, die sich durch dieses gelbliche Nichts windet. Die Landschaft scheint endlos, ohne Variation, ohne Abwechslung. Der Anblick macht mich zunehmend durstig. Ich setze weiter Fuß vor Fuß, doch ein Gefühl der Schwäche breitet sich in mir aus. Es beginnt in den Beinen, kriecht in meine Knie. Meine Waden fühlen sich teigig und taub an.
Irgendwann mache ich eine Silhouette aus, die abseits des Baches in den Gräsern steht. Eine weibliche Silhouette, wie mir beim Näherkommen klar wird. Die Person macht sich am Boden zu schaffen. Sie füllt einen Korb, den sie mit einem Arm hält. Die Frau hat dunkle Locken. Sie wendet mir den Rücken zu. Als ich nur noch ein paar Meter entfernt bin, will ich rufen, etwas sagen, aber mir stockt die Stimme. Weil ich sie erkenne. Weil sie mich an jemanden erinnert, die ganze Gestalt, die Anmutung.
»Was machst du hier?«, frage ich.
Sie zuckt zusammen, fast lässt sie den Korb fallen. Sie richtet sich auf, wendet sich mir zu. Es gibt keinen Zweifel.
»Ich sammle Kräuter«, sagt sie. »Die wachsen nur hier draußen, und du?«
»Wieso sammelst du Kräuter?«
»Ich bin Ärztin. Ich brauche diese Kräuter für einige Arzneien.«
»Wieso bist du Ärztin?«, frage ich.
»Es war mein Traum, seit ich ein Mädchen war. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass mein Vater Arzt war. Ich habe es geliebt, in der Praxis zu spielen, unten im Haus, im Souterrain der Villa, wenn keine Patienten da waren. Ich habe es geliebt, auf seinem Schoß zu sitzen und mit dem Stethoskop die Herztöne abzuhören oder ihm mit der Stablampe in den Rachen zu leuchten, seine Zunge mit dem Holzplättchen niederzudrücken.«
»Dein Vater war Arzt?«, frage ich, Schwäche im Kopf.
»Hm«, macht sie und lächelt. »Und was machst du hier draußen?«
»Ich weiß nicht«, sage ich.
Es ist ein Traum, aus dem es kein Erwachen gibt. Die Wolken streichen beschleunigt durch den Himmel, als wäre da oben alles aus Metall, und ein riesiges, ungeduldiges Kind, das hinter allem sitzt, würde seinen Magneten über die große Metallplatte führen.
»Monika«, sage ich.
»Stimmt«, sagt sie, »so heiße ich, woher weißt du meinen Namen?«
Und zum ersten Mal sieht sie erstaunt aus. Sie blickt auf das Brot unter meinem Arm.
»Wer bist du?«
6
Als Kind war ich empfänglich für Wunder. Alltägliche Wunder. Das Wunderbare konnte überall auf mich warten. Überall öffnete es plötzlich seine Pforten und bat mich hinein zu sich. Es war ein Gefühl, ein Zustand. Einmal hatte ich mehrere Wochen in einem Krankenhaus verbringen müssen, ich war noch sehr klein, und nachts wurden die Betten im Zweibettzimmer zu Raumgleitern, in denen ich und mein Zimmergenosse stundenlang einsam, nur verbunden durch den Funkverkehr, Patrouillen durch ein kaltes, leeres, unbelebtes Planetensystem flogen. Diese Reisen fühlten sich echt an. Aus dem Krankenhaus nach Hause zurückgekehrt, fädelte ich bunte Plastikperlen, die ich aus einem Schränkchen meiner Schwester entnommen hatte, auf einen Faden. Diese Perlschnur pinnte ich mit einem Reißnagel über mein Bett an die Zimmerdecke. Am Abend lag ich in meinem Bett, durch das Fenster flutete die Abendsonne jene Ecke des Raumes, in der das Bett stand, und ich lag da und gab mich dem wohlig traurigen Gefühl hin, wieder zu Hause zu sein, das Dasein war sehr groß, es fasste mich an und hielt mich, ich atmete bewusst, und das hatte auch etwas damit zu tun, dass ich liegend zusah, wie das Licht der untergehenden Sonne mit meinen Plastikperlen spielte, die etwas unsagbar Kostbares waren, weil sie glühten im Licht, weil ihre Farben loderten, weil gleißendes Gold sie umgaukelte, bunte Lichtpunkte sich an der Zimmerdecke und der Wand neben dem Bett tummelten, sie hüpften herum, und weil sich in diesem Tanz bunter Punkte mein Inneres öffnete und in die Welt ergoss. Die Welt war groß und wild und voller ernstem, tiefem Zauber.
Und wenn ich
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