Lazyboy
auf dem Hof und unterhalten sich.
»Interessant«, sagt Daniela. »Das klingt wunderschön und auch wirklich sehr geordnet, aber auch ein wenig langweilig, findest du nicht?«
Die nächsten drei Stunden sehe ich Daniela bei der Arbeit zu. Ich sitze auf einem Schemel, den mir einer der Arbeiter gegeben hat, und träume vor mich hin. Die Seilmanufaktur befindet sich in einer riesigen Halle. Aus Oberlichtern fällt Licht auf die große Maschine, schwarzer Stahl, Zahnräder und Riemen, blinkendes Chrom. Die Luft ist drückend. Aus dem einen Ende der Maschine tritt der gewundene Hanfstrang heraus, der von den Arbeiterinnen und Arbeitern, die lange Schürzen aus festem braunem Stoff und passende Kappen tragen, in die Länge der Halle gezogen wird, wobei jeder Arbeiter nur vier Schritte geht und dann auf seinen Platz zurückkehrt. Das werdende Seil wandert von einer Hand in die nächste. Ein Arbeitsprozess, der an einen rituellen Tanz erinnert und sich in förmlicher Stille vollzieht. Hat das Seilende das Ende der Halle erreicht, tritt eine Arbeiterin mit einem machetenartigen Messer an die Maschine heran und kappt den Strang. Gemeinsam wird das fertige Seil aufgerollt und zur Seite geräumt. Nach jedem achten Seil schärft die Arbeiterin ihr Messer an einem mächtigen Wetzstein, der nahe der Hallenwand permanent leise grummelnd vor sich hin rollt.
Ein friedlicher Anblick, der mich mit dem Dasein versöhnt. Ich sitze da und schwitze vor mich hin, sehe Daniela und ihren anmutigen Bewegungen zu, dann wieder schaue ich durch so ein Oberlicht in das blässliche Blau des mittäglichen Himmels hinauf.
Am Ufer des Beeksees werden wir vom Lehrer abgefangen. Er greift mich am Daunenjackenärmel, ich kann seine Finger deutlich durch die dicke Polsterung fühlen. Er kneift mich, der Lehrer. Ich trage immer noch die Daunenjacke, ich kann das wertvolle Ding ja schlecht irgendwo liegen lassen. Er sagt: »Das können Sie nicht machen, einfach so abzuhauen, so kurz vor dem Fest. Was glauben Sie, was hier los war?«
Ich schaue ihn schweigend an.
»Erst taucht nach endloser Zeit endlich der Mittler auf, auf den alle gewartet haben, oder zumindest einer, der sich dafür ausgibt, die Erlösung scheint greifbar nahe. Und plötzlich ist er spurlos verschwunden und lässt uns alle wie versteinert zurück. Was glauben Sie, wie schwer es war, die Ängste und die Enttäuschung unter Kontrolle zu halten? Wir standen hier kurz vor einer Katastrophe. Sie haben jetzt auch eine Verantwortung übernommen, ja?«
»Jetzt ist er ja wieder da«, sagt Daniela und macht mich sanft vom Lehrer los, sie biegt einen Finger nach dem anderen von meinem Arm weg.
Im Park am Seeufer wartet eine Blaskapelle in schwarzen Uniformen mit schwarzen Schutzmannmützen auf dem Kopf. Eine Menge mit Fähnchen ist versammelt. Außerdem steht dort ein Mädchenchor in rosa Kleidchen mit weißer Spitze, aufgereiht wie die Orgelpfeifen. Enten quaken auf dem Wasser des Beeksees, keine Spur mehr von dem Eis, das sich vor zwei Tagen noch an die Ufer schmiegte. Eine Holztribüne ist aufgebaut. Die Honoratioren der Ortschaft haben sich darauf versammelt.
»Was machen eigentlich die auf der anderen Seite?«, frage ich den Lehrer, der sich dicht an meiner Seite hält, als könne ich jeden Augenblick wieder davonschleichen. »Feiern die zeitgleich auch so ein Fest?«
»Wir wissen es nicht«, sagt er und blickt mich dumpf an. »Da steht eine unüberwindliche Wand, die solche Einblicke verhindert, ist Ihnen das schon aufgefallen? Sie Schlauberger.«
Ich blicke die Tür auf der Insel an.
Das Türblatt steht jetzt offen. Es gibt den Blick auf milchiges Nichts frei.
Ich werde auf das Holzpodest geführt. Ich muss an filmische Darstellungen mittelalterlicher Hinrichtungen denken. Genau so sieht das aus. Genau so fühlt sich das auch an. Glücklicherweise ist niemand mit einer großen Axt oder einem Schwert in der Nähe.
Oben nimmt mich der Bürgermeister mit repräsentativer Geste in Empfang. Er trägt dem Anlass entsprechend einen schicken, schwarzen Anzug. Ein Mann in einem grauen Anzug steht daneben und spricht leise auf ihn ein. Die blonde Frau mit dem Klemmbrett steht im Hintergrund.
»Sie müssen unsere Friedensbotschaft auf die andere Seite bringen«, sagt der Bürgermeister zerstreut in meine Richtung. »Es ist wichtig, dass das alles glatt über die Bühne geht. Ziel ist es, zu einer Aussöhnung mit denen zu kommen. Wir stellen uns einen regen Austausch durch die Wand vor,
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