Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)
Sie mir die Schuld.« Er befolgt den Rat und beginnt, sich über das Chaos zu beklagen, das ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Die Lage beruhigt sich – aber nach wenigen Monaten gerät er wieder in Schwierigkeiten. Er öffnet den zweiten Umschlag und findet einen Zettel, auf dem steht: »Führen Sie eine Reorganisation durch.« Er beginnt sofort zu untersuchen, wie er seine Einheit umbauen könnte, um die Situation zu verbessern. Monatelang werden sämtliche Strukturen und Mitarbeiter hin und her bewegt, um eine neue Ordnung zu finden. Die ganze Organisation ist abgelenkt. Die neue Ordnung wirkt faszinierend, aber es wird nichts gelöst. Es herrscht allgemeine Verwirrung.
Der mittlerweile nicht mehr neue Kommandeur gerät in Bedrängnis und beginnt sich Sorgen über seine Karriere zu machen. In seiner Verzweiflung öffnet er den dritten Umschlag. Die Mitteilung lautet: »Bereiten Sie drei Umschläge vor.«
Gewählte Amtsinhaber haben nicht viel für das »Drei-Umschläge-Konstrukt« übrig. Sie hören nie auf, alles auf ihre Vorgänger zu schieben. Wenn die Dinge schlecht laufen, ist es nicht ihre Schuld. Wenn die Dinge gut laufen, ist das nur ihren großen Anstrengungen zu verdanken; sie haben es geschafft, die von ihrem Vorgänger geerbten Missstände zu beseitigen. Stammt der Vorgänger aus ihren eigenen Reihen, so können sie sich möglicherweise nur hinter vorgehaltener Hand über ihn beschweren.
Wenn Sie als Normalbürger eine Position in einer Hierarchie übernehmen, müssen Sie davon ausgehen, dass Ihr Vorgänger gute Arbeit geleistet hat; hat er das nicht, so müssen Sie sich schweigend damit abfinden. Machen Sie das Beste daraus, versuchen Sie voranzukommen. Sie sind verantwortlich. Übernehmen Sie die Verantwortung. Und denken Sie immer daran: Die Tücher gehören jetzt Ihnen.
Spieglein, Spieglein an der Wand
Ich kenne meine Stärken und Schwächen, aber die Schwächen behalte ich für mich. Obwohl ich nie mit jemandem darüber spreche, sind die Mitglieder meiner Familie und meine Freunde gern bereit, sie mir im Detail zu erläutern. Sich selbst zu prüfen ist eine schwere Aufgabe, die noch schwieriger wird, wenn sich Freunde und Verwandte daran beteiligen. Ich bin sehr froh darüber, dass die Rundum-Bewertungen erst in Mode kamen, als ich längst nicht mehr bewertet wurde. Das Ego der eingestuften Person leidet, ihr Selbstwertgefühl wird auf eine harte Probe gestellt, ihre Entscheidungen werden kritisiert. Es wird deutlich, wie fehlerhaft diese Person ist. Aber wer sich verbessern will, wer die Beziehung zu den Menschen in seiner Umgebung verbessern will, wer sich seinen inneren Dämonen stellen und vorankommen will, der kommt nicht um eine solche Prüfung herum. Es ist gesund, hin und wieder in den Spiegel zu schauen.
Was dem Einzelnen schwerfällt, ist für Gruppen in einer Organisation mit Vorgesetzten und Untergebenen noch schwieriger, denn Offenheit kann für die einzelnen Gruppenmitglieder ein Risiko bedeuten. Ehrlichkeit kann als Mangel an Loyalität interpretiert werden, und die Person, die offen spricht, wird möglicherweise für nicht teamtauglich gehalten. Eine Organisation, der es nicht gelingt, geeignete Bedingungen für eine ehrliche Bewertung zu schaffen, lähmt sich selbst. Die Aufgabe besteht darin, die Egos zu überwinden und unangenehme Tatsachen nicht auszublenden. Nur so kann man Fortschritte machen, ohne die Gefühle der Beteiligten irreparabel zu verletzen. Hier zeigt sich, wie gut die Führung wirklich ist, wie sehr sie ihrem Team vertraut und wie stark der Zusammenhalt der Gruppe ist.
Besonders schwierig ist eine aufrichtige, schonungslose Selbstprüfung nach einem Fehlschlag oder schlechten Ergebnissen. Die amerikanischen Streitkräfte gerieten nach dem Vietnamkrieg in eine solche Krise. Es gab keine Siegesparaden, und die Vereinigten Staaten verzichteten auf die gerade entstandene Freiwilligenarmee. Das Land steckte in der Revolution der Gegenkultur, wurde von Rassenkonflikten erschüttert und kämpfte mit Drogenproblemen. Ein ohnehin angeschlagenes politisches System musste den Rücktritt eines mit Schande überhäuften Präsidenten verkraften. Wir mussten eine Einrichtung mit einer gewachsenen Kultur und einer stolzen Geschichte erneuern, denn sie hatte ihren eigentlichen Daseinszweck nicht erfüllt: Erfolg im Krieg. Wir machten uns daran, unsere Militärdoktrin umzuschreiben, unsere Einheiten neu zu organisieren und Freiwilligenverbände auszubilden, deren
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