Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
angedeuteten Diener bedankte und sie an den nächsten Bediensteten
weitergab.
»Sie trinken doch sicher ein Glas Champagner mit mir«, stellte
der Gastgeber eher fest, als dass er es fragte, und winkte dem Kellner, der ein
Tablett durch die Grüppchen trug.
Leander bemerkte, dass der Rechtsanwalt erleichtert über sein
Friedensangebot war, und fragte sich einmal mehr, warum sich der Mann so um ihn
bemühte. Sie prosteten einander zu, und auch Lenas Lächeln verriet Leander,
dass sie heute Abend nicht wirklich auf Krawall gebürstet war.
»Ich werde Sie im Laufe des Abends einigen sehr illustren
Gästen vorstellen«, fuhr Petersen im Plauderton fort. »Es sind Geschäftsleute
hier, mit denen wir engeren Kontakt pflegen, das heißt, die Firma, an der Sie
ja nun auch beteiligt sind. Aber ich denke, wir verschieben das auf später. Wie
es aussieht, will mein Vater nun das Buffet eröffnen.«
Der alte Claus Petersen brauchte sich nur vernehmlich zu
räuspern, und augenblicklich kehrte gespannte Stille ein.
»Liebe Freunde«, begann er, »ich bin sehr glücklich, euch und
Sie heute Abend hier begrüßen zu können. In meinem Alter ist man für jeden
Jahreswechsel dankbar, den man im Kreis von Freunden und Verwandten erleben
darf.«
Allgemein beschwichtigendes Gemurmel hob an, aber der alte Mann
ließ das nicht durchgehen und sorgte mit einer kurzen, gebieterischen
Handbewegung umgehend wieder für Ruhe.
»Doch, doch. Ich weiß, wovon ich rede, und ich bin auch kein
Narr. Gerade erst ist einer meiner ältesten Weggefährten und engsten Freunde
verschieden, und ich weiß ehrlich zu schätzen, dass an seiner Stelle heute sein
Enkel hier unter uns zu Gast ist.«
Er hob sein Champagnerglas und grüßte dezent zu Leander
hinüber, der den Gruß unter den Augen aller anderen Gäste etwas peinlich
berührt erwiderte.
»Herr Leander, ich spreche Ihnen mein tief empfundenes
Mitgefühl aus. Ihr Großvater war ein grundehrlicher Mann. Wenn man überhaupt
von Heldentaten sprechen kann, als wir damals in diesen finsteren Zeiten
zahlreiche Menschenleben vor den Nazischergen gerettet haben, dann war er der
eigentliche Held. Doch, doch, Herr Leander, lassen Sie mich das hier und jetzt
sagen. Es ist das Einzige, was ich noch für ihn tun kann, und es ist mir ein
Bedürfnis. Mein alter Freund Heinrich Leander ist in all den stürmischen
Nächten mit seinem kleinen Kutter, der Haffmöwe , ausgelaufen und hat
Menschen, die aus religiösen oder politischen Gründen verfolgt wurden, in
Sicherheit gebracht. Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um ihre Leben zu
retten. Wir anderen haben ihm den Rücken frei gehalten, aber bei Wind und
Wetter sein Leben riskiert, das hat nur er. Orkan-Hinnerk haben wir ihn genannt
damals, und nicht wenige Insulaner haben ihn des Morgens im Hafen empfangen,
wenn er ohne seine geheimen Passagiere, aber mit vollen Netzen wieder
eingelaufen ist. Der Ortsgruppenleiter Roeloffs persönlich hat einmal am Hafen
gestanden und ihm auf die Schulter geklopft. ›Solche Männer braucht das Reich‹,
hat er gesagt. ›Mit solchen Männern schaffen wir den Endsieg.‹ Wenn der gewusst
hätte, dass Hinnerk in just dieser Nacht zwei gesuchte Kommunisten an den
dänischen Widerstand übergeben hat, die später von Norwegen aus die
Auslandspropaganda organisiert haben!«
Er brach in triumphierendes Gelächter aus, in das seine Gäste
herzlich einfielen. Schließlich sorgte er mit vor Lachen hochrotem Kopf und
erhobener rechter Hand wieder für Ruhe.
»Es gibt bald keine Zeitzeugen mehr«, fuhr er fort. »Wir
sterben langsam aus. Deshalb erzähle ich das immer wieder, solange ich noch
kann. Unsere Freundschaft hat ein Leben lang gehalten. Nie wieder habe ich
einen Menschen kennengelernt wie meinen Freund Hinnerk. Aber nun sind Sie ja
hier, Herr Leander, und wie ich von meinem Sohn höre, haben Sie vor, zu bleiben
und den Staffelstab von Ihrem Großvater zu übernehmen. Das freut mich
aufrichtig. Sie gehören hierher. Wenn mein Sohn oder ich Ihnen in irgendeiner
Form behilflich sein können, lassen Sie es uns wissen. Es ist mir ein ganz
persönliches Bedürfnis, dass unsere Familien weiterhin eng verbunden bleiben,
und ich weiß, dass das auch in Hinnerks Sinne ist. So lassen Sie uns nun an
diesem letzten Abend des Jahres gemeinsam unsere Gläser erheben auf meinen
alten guten Freund Heinrich Leander. Möge er seinen wohlverdienten Frieden
gefunden haben.«
Nachdem alle Gäste ihre Gläser erhoben und auf Heinrich
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