Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Kilometer hinter dem Hafen.«
»Das mache ich«, versprach Leander. »Bestimmt.«
Eiken Jörgensen griff nach einem Fahrrad und schob es so rasch,
wie der Urlauberstrom es zuließ, in Richtung Hafen. Leander wandte sich um und
ging in entgegengesetzter Richtung den Sandwall entlang, um dann kurz vor
seinem Ende linkerhand weiter der Strandpromenade zu folgen.
Auf seiner rechten Seite erstreckte sich zunächst eine Betonmauer,
hin und wieder durchbrochen von Zugängen zu dem dahinterliegenden
Appartementkomplex. Aussparungen an den Seiten zeigten an, dass sich diese
Mauerdurchbrüche in Minuten mit Hilfe von Holz-oder Stahlplatten verschließen
ließen, wenn eine Sturmflut dies erforderlich machte.
Auf der linken Seite verlief der Sandstrand wie ein gelber,
aber heute dünn vom Schnee gepuderter Streifen zwischen dem grauschwarzen
Wattenmeer und der rot gepflasterten Promenade. Am Spülsaum spazierten dick
vermummte Gestalten durch den Sand, während das Wasser sich langsam zurückzog
und einen nassen dunklen Streifen zurückließ – ablaufendes Wasser.
Auf der Promenade waren immer noch viele Menschen unterwegs,
allerdings wurden es merklich weniger, als Leander das Strandcafé Valentino passiert hatte, ein interessanter runder Endbau, der nahezu ganz aus Glas konstruiert
war. Das Schild über dem Eingang zeigte den tanzenden Rudolf Valentino, dessen
Zeit, wie man durch die Fenster sehen konnte, das Interieur des Cafés
bestimmte. Dicht gedrängt saßen die Touristen an runden Tischen, zwischen denen
sich eine junge Kellnerin mit Getränketablett nur mühsam ihren Weg bahnte, und
selbst draußen auf der Promenade war trotz der Kälte kein einziger Sitzplatz
frei. Die Gäste hatten sich ihre Mantelkragen hochgezogen, manche trugen eine
Wollmütze auf dem Kopf und über den Ohren oder die Kapuzen ihrer wattierten
Jacken. Vor allem die Frauen hatten ihre Hände in die Ärmel zurückgezogen. Auf
den Tischen dampften überwiegend Heißgetränke wie Pharisäer und Lumumba. Alle
mühten sich um einen Ausdruck von Gemütlichkeit, nur ein paar Kinder
quengelten, dass ihnen zu kalt sei.
Nun wechselte die Uferbebauung einige Meter zurück und machte
einer niedrigen Düne Platz, die locker mit Strandhafer und Heckenrosen
bewachsen war und heute eine dünne Schneeschicht trug. Kurz darauf passierte
Leander, der beschlossen hatte, die Sonnenstrahlen zu genießen und den kalten
Wind zu ignorieren, der stetig aus östlicher Richtung blies, das Wellenbad.
Durch große Fensterfronten bot sich dem Betrachter das Bild einer Menschenwelle
in einem blauen Fliesenbecken, durch die nur selten etwas Wasser zu sehen war.
Hinter dem Wellenbecken dampfte etwas erhöht ein dicht besetzter Whirlpool.
Leander nahm sich vor, dieses Vergnügen erst zu suchen, wenn Mitte Januar die
letzten Touristen die Insel verlassen hätten.
Hinter dem Wellenbad und dem Café Aquamarin folgte das
Kurzentrum am Südstrand, und von da ab begegneten ihm nur noch wenige
Spaziergänger. Hier gab es keine Cafés mehr und nur noch Sand, Strandhafer und
den würzigen Geruch des Wattenmeeres. Auch auf dem Pflaster der Promenade lag
hier noch etwas leicht verwehter Schnee, durch den Frost der letzten Nacht so
feinpuderig zerstäubt, dass er wie weißer Sand anmutete. Leander blieb stehen
und schaute über den Strandstreifen hinweg auf die Nordsee. Von links war er
gekommen. Jetzt erst, in der Rückschau, merkte Leander, dass der Weg nicht
gerade verlaufen war, sondern einen Bogen beschrieben hatte, denn das
Kurzentrum am Südstrand war schon hinter einer Biegung verschwunden. Dadurch
wurde ihm auch bewusst, dass die Badestraße, die am Südstrand auf die Promenade
gestoßen war, genau die Straße sein musste, die auch zu seinem Haus in Wyk
führte. Er war also fast im Halbkreis gelaufen.
Geradeaus erblickte Leander den letzten Zipfel der Hallig
Langeneß. Rechts davon erstreckte sich offenes Meer. Leander entfaltete die
Wanderkarte und richtete sie so aus, dass die Oberkante in Richtung Norden
zeigte. Weiter nördlich, so entnahm er es der Karte, lag die Insel Amrum, die
von hier aus aber noch nicht zu sehen war. Die Promenade würde bald auf die
Steintreppe zum Gmelin-Park stoßen und auf einen Landzipfel, der Ohlhörn hieß
und das kleine Leuchtfeuer beherbergte, das Leander vorgestern von der Fähre
aus gesehen hatte.
Er faltete die Karte wieder zusammen und wanderte weiter in
Richtung Park. Wie still es hier war! Kein Laut war zu hören, nicht einmal die
Rufe
Weitere Kostenlose Bücher