Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Vorherrschend waren grauschwarze Taschenbücher eines
bekannten Krimi-Verlages, aber auch andere Verlage und Autoren waren vertreten,
so dass Leander gleich erkannte, dass der Inhaber des Ladens ein Kenner der
Krimiszene war.
»Bella Block«, sagte eine helle Stimme dicht neben ihm, und als
er sich umdrehte, erblickte er Eiken Jörgensen, deren keckes Gesicht aus einem
orangefarbenen Buff -Tuch guckte. Sie lächelte ihn unbefangen an und
nickte auffordernd dazu.
»Wie meinen?«
»Nehmen Sie einen Bella-Block-Roman«, riet sie lächelnd. »Zum
Beispiel Die schöne Mörderin , und wenn wir uns demnächst wieder
begegnen, erzählen Sie mir, wie er Ihnen gefallen hat.«
Sie griff an seinem Kopf vorbei und zog das Taschenbuch von
Doris Gercke aus dem Regal. Verwundert nahm Leander das Buch aus ihrer Hand.
»Sagen Sie, arbeiten Sie hier?«, fragte er erstaunt.
»Nein, ich arbeite für die Schutzstation Wattenmeer draußen auf dem Deich und habe in meinem Infowagen zu dieser Jahreszeit nicht
viel zu tun. Touristen verirren sich bei der Kälte kaum so weit raus, die
Wintergäste unter den Vögeln sind bald gezählt, und so habe ich viel Zeit zum
Lesen. Das ist der Ausgleich für den viel zu hektischen Sommer.«
Sie zeigte Leander ein weiteres Taschenbuch von Doris Gercke,
das sie für sich selbst aus dem Regal gezogen hatte.
» Weinschröter, du musst hängen «, las er.
»Sie sehen«, erklärte sie lachend, »ich rate Ihnen aus
Überzeugung.«
»Na gut«, lenkte Leander ein. »Dann lese ich eben einmal einen
leichten Krimi, obwohl ich eigentlich mit Mord und Totschlag gerade nichts zu
tun haben möchte.«
»Täuschen Sie sich da mal nicht, Doris Gercke ist alles andere
als leicht. Und ihre Sichtweise auf Mord und Totschlag wird selbst Ihnen nicht
vertraut sein.«
»Nicht streiten«, mischte sich eine Stimme hinter ihnen ein.
»Ich habe genügend Bücher für euch beide.«
Ein kräftiger Mann Mitte bis Ende vierzig mit kurzgeschorenem,
gleichwohl etwas gelocktem Blondschopf und breiten bunten Hosenträgern über
einem kurzärmeligen bunten Hemd war hinter Leander und Eiken Jörgensen
aufgetaucht, ohne dass sie es bemerkt hatten. Er wirkte auf Leander wie die
Erwachsenenausgabe von Wilhelm Buschs Max und Moritz in einer Person.
»Darf ich vorstellen«, ergriff Eiken das Wort, »Jens Hoss, der
Inhaber dieses Chaos-Ladens, und Henning Leander, Kriminalkommissar aus Kiel.«
Leander und Hoss schüttelten einander die Hände. Der Griff des
Buchhändlers war fest und sicher und passte nicht recht zu seinem eher
spitzbübischen Aussehen.
»Was ist nun mit meinem Grisham?«, tönte ungeduldig die Stimme
eines älteren Herrn, der hinter Hoss wartete. »Wird das dieses Jahr noch was?«
»Entschuldigen Sie«, entgegnete Hoss, »ich vergesse immer
wieder, dass Urlauber keine Zeit haben.«
»Unverschämtheit!«, grummelte der ältere Herr, blieb aber
hinter Hoss stehen.
Der kniff Leander und Eiken ein Auge zu, sagte kurz »Man sieht
sich!« und schlängelte sich durch den Laden zu den gebundenen Krimis.
»Sehen Sie?«, sagte Eiken Jörgensen. »Einen Grisham hätte ich
Ihnen zum Beispiel nie empfohlen. Zumal bei dem tatsächlich die Gefahr besteht,
dass das nächste Buch erscheint, bevor man es geschafft hat, das letzte zu
lesen. Vor dem Hintergrund ist die Ungeduld des Urlaubers verständlich.« Sie
lachte hell auf und fuhr fort: »Jetzt muss ich aber los, mein leerer Infowagen
wartet.«
Eiken Jörgensen und Leander drängelten sich zur Kasse durch und
zahlten bei der jungen Kassiererin, die immer noch denselben stoischen Blick
hatte, der eine Art von Panzerglas zwischen ihr und dem Rest der Welt aufbaute,
ohne das sie das Geschehen im Buchladen sicher nicht unbeschadet überstanden
hätte. Leander erstand noch eine der Kompass -Wanderkarten der Insel, die
praktischerweise gleich vor ihm auf der Theke in einem Ständer steckten, und
folgte der jungen Vogelwartin hinaus auf den Sandwall.
»Wenn Sie mir jetzt noch sagen könnten, wo ich mich in Ruhe und
ohne diese Touristenströme in die Sonne setzen und Zeitung lesen kann?«
»Folgen Sie einfach der Promenade am Strand entlang bis zur
Treppe am Gmelin-Park. So weit laufen unsere Wintergäste nicht, die setzen sich
lieber in die warmen Cafés.«
Leander bedankte sich und wandte sich schon ab, als Eiken
Jörgensen hinzufügte: »Wenn Sie einmal Lust auf eine ausgedehnte Wanderung
haben, besuchen Sie mich in meinem Infowagen. Er steht direkt am Deich, ein
paar
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