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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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mitbekommen? Gespräche vielleicht oder Telefonate?«
    »Nein«, antwortete Eiken. »Nach dem Wortwechsel in der Galerie,
von dem ich dir ja schon erzählt habe, haben sie sich meistens bei Hansen im
Laden getroffen. Abends, nach Geschäftsschluss. Ich hatte den Eindruck, dass
ich von alldem nichts mitkriegen sollte.«
    »Frau Husen hat mir erzählt, die fünf seien regelrechte Helden
gewesen, weil sie Juden zur Flucht verholfen hätten«, brachte Leander den
Aspekt ins Spiel, den er selbst am abenteuerlichsten fand.
    »Das stimmt. Das ist das Einzige, was wirklich belegt ist. Sie
waren damals alle beim Militär.«
    »Der Wehrmacht.«
    »Kriegsmarine«, fuhr Eiken fort, ohne auf Leanders abwertenden
Unterton einzugehen. »Sie waren auf Sylt stationiert. Hinnerk anfangs auch,
später dann nicht mehr; da war er für die Versorgung zuständig, hat Lebensmittel
vom Festland geholt und zwischen Föhr und Sylt transportiert. Nebenbei durfte
er fischen. Nahrungsmittelproduktion war für die Volksgemeinschaft
kriegswichtig. Und das war dann auch die große Chance, denn so war er
unverdächtig, wenn er ständig unterwegs war. Und außerdem konnten die Freunde
auf Sylt dafür sorgen, dass Hinnerk mit seinem Kutter auch nachts ungeschoren
blieb, wenn er einzelne Flüchtlinge von hier fortgeschafft und nördlich von
Sylt an dänische Fischer weitergegeben hat. Schwierig wurde das wohl erst im
letzten Kriegsjahr, nachdem die Amis in der Normandie gelandet waren und man
auch hier bei uns eine Invasion befürchtete. Aber da haben die fünf ihre Flüchtlinge
einfach auf Föhr versteckt gehalten, bis sich eine Gelegenheit bot, sie den
dänischen Fluchthelfern zu übergeben. Es gab ja zwei jüdische Kinderheime hier,
da fielen ein paar Personen mehr oder weniger in der Ration nicht auf. Das hat
alles in allem sehr gut funktioniert, zumal der alte Petersen damals wohl den
Oberbefehl auf Sylt gehabt hat – so genau weiß ich das aber auch nicht. Davon
gibt es sogar Fotos, ich meine, von den fünf Kameraden in Uniform. Und dann von
der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Und da fällt mir ein, dass sogar der
alte Chef deines Großvaters – Raabe hieß er wohl – dadurch überlebt hat.
Von dem hat Hinnerk ja auch den Kutter und das Haus übernommen, als der aus
Deutschland weg musste. Das hat zumindest mein Großvater mal erzählt.«
    »Und da setzt dann auch gleich die nächste offene Frage an«,
fuhr Leander fort. »Hinnerk hat als blutjunger Mann im Krieg sein Haus und
seinen Kutter gekauft und dann geheiratet. Woher hat ein junger Fischer so viel
Geld?«
    »Vielleicht durch seine Frau? Das ist hier nicht unüblich, dass
eine Frau das Geld mit in die Familie bringt und dadurch für die Grundlagen
ihrer Existenz sorgt. Vielleicht hat auch der alte Raabe aus Dankbarkeit für
seine Rettung einen geringen Preis verlangt. Er soll schon ziemlich alt gewesen
sein, als er weggegangen ist. Das müsste doch rauszukriegen sein.«
    »Warte«, meinte Leander, »da fällt mir etwas ein. Petersen
wollte unbedingt die Kaufurkunde für das Haus sehen. Das hat mein Großvater
ausdrücklich im Testament verlangt. Komisch, oder?«
    Er griff nach seinem Mantel und zog den Kaufvertrag aus der
Innentasche. Eiken nahm die Urkunde und betrachtete sie eingehend.
    »Das ist eigentlich gar kein Kaufvertrag«, sagte sie
schließlich und ließ Leander mit hinein sehen. »Da steht nirgendwo ein Preis,
oder kannst du einen entdecken?«
    Leander schüttelte den Kopf.
    »Das hier«, fuhr Eiken fort, »ist eher eine Übertragungsurkunde.
Oder eine Schenkung – ich kenne mich da nicht so aus. Na bitte, das spricht
doch dafür, dass der alte Raabe das Haus aus Dankbarkeit für seine Rettung an
deinen Großvater überschrieben hat. Nach Deutschland zurückkommen wollte er
sicher nicht mehr. Was also sollte er da noch mit einem Haus auf Föhr?«
    Leander dachte einen Moment über Eikens Worte nach.
    »Dankbarkeit oder Erpressung«, murmelte er dann. »Bis heute
verlangen Schleuser Geld dafür, dass sie Menschen in Not in ihr gelobtes Land
bringen.«
    »Das glaube ich nicht«, erklärte Eiken Jörgensen bestimmt,
»Hinnerk war nicht so. Ich kann nicht glauben, dass er sich so skrupellos an
der Not anderer bereichert haben soll.«
    »Du weißt nicht, wie manche Menschen damals gewesen sind,
nachdem die Propaganda sie aufgehetzt hatte. Und Hinnerk war jung – mit der
braunen Milch aufgezogen, sozusagen. Da können wir uns heute, glaube ich, gar
nicht mehr so

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