Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Trecker, wie denn sonst? Jetzt sind die Vögel ohnehin einmal aufgescheucht«, erklärte Wiese, steckte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte grinsend auf den Andelhof zu.
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Heinz Baginski, Hobbyfotograf und Hobbyornithologe aus Bottrop, strampelte gegen einen steifen Nordwest durch die Föhrer Marsch in Richtung Boldixumer Vogelkoje. Um den Hals und die linke Schulter hatte er seine digitale Spiegelreflexkamera geschlungen – sein ganzer Stolz, eine Canon EOS 7D, die er erst kürzlich zusammen mit ein paar sündhaft teuren Objektiven erstanden hatte. Ebenfalls um seinen Hals, aber zusätzlich um die rechte Schulter hatte er sich das mehrere Kilo schwere Manfrotto-Stativ gehängt. So diente es als Gegengewicht zu der Kamera, auf der bereits das gewichtige Teleobjektiv steckte.
Derart professionell ausgerüstet wollte er heute Enten fotografieren, aber nicht irgendwelche Enten, nein, Föhrer Krickenten sollten es sein, und die gab es in der Vogelkoje zu sehen. So hoffte er jedenfalls. Genau wusste er es auch nicht, aber er hatte gelesen, dass früher in diesen Entenfanganlagen Wildenten gefangen und in einer extra dafür auf der Insel aufgebauten Konservenfabrik in die Büchse verfrachtet worden waren. Bis nach Amerika sollte diese Spezialität exportiert worden sein. Sogar beim Captain’s-Dinner auf der Titanic , so heißt es, habe es Föhrer Krickente gegeben – die Folgen sind hinlänglich bekannt. Heute freilich wurden keine Föhrer Krickenten mehr erzeugt, sprich: gefangen, getötet, was bei Enten und Gänsen ringeln heißt, und eingedost. Die Fanganlagen, die sogenannten Vogelkojen – oder Entenkojen, wenn man es genau nahm –, gab es noch. Einige waren sogar noch in Betrieb, und die Boldixumer Vogelkoje war obendrein zu besichtigen, täglich von zehn bis zwölf Uhr.
Heinz Baginski war spät dran. Er war nicht zu seinem Vergnügen auf der Insel, jedenfalls nicht vordergründig, sondern in erster Linie seiner Gesundheit wegen. Als Angestellter der Bottroper Agentur für Arbeit war er chronisch überlastet. Zwar arbeitete er nur in der Abteilung für den sogenannten Winterbau, wo die eigentliche Stressphase eher in der kalten Jahreszeit lag, wenn viele Unternehmen Kurzarbeit anmeldeten oder ihre Mitarbeiter vorübergehend entließen, um sie dann im Frühjahr bei besserer Witterung und Auftragslage wieder einzustellen und in der Zwischenzeit den Lohn von der Allgemeinheit der Sozialabgabenzahler entrichten zu lassen. Aber auch das Sommerhalbjahr forderte Heinz Baginski bis an seine physischen und psychischen Grenzen. Dann gab es täglich nämlich nur für etwa zwei Stunden Arbeit, und für den Rest der Zeit mussten er und seine vier Kollegen überzeugend Beschäftigung vortäuschen, damit die Abteilung nicht personell verkleinert wurde. Das war echter Stress, zumal Heinz Baginski unablässig von der Angst geplagt wurde, etwas Unvorhergesehenes könnte in seinen Ruhealltag platzen und eben diese Ruhe für ein oder zwei zusätzliche Stunden gefährden.
So war er nach fast zwanzig Jahren Arbeitsagentur inzwischen regelrecht ausgebrannt, was zuletzt sogar zu Herzrhythmusstörungen geführt hatte. Sein Arzt hatte ihn dringend gewarnt, er müsse im Urlaub zur Ruhe kommen und jede Überanstrengung oder gar negative emotionale Belastung vermeiden, sonst bestehe unweigerlich die Gefahr eines ›Herzkaspers‹. Dabei hatte der Mann schallend gelacht, wofür Baginski wiederum jedes Verständnis gefehlt hatte. Aber immerhin hatte sein Arzt ihm Seeluft verordnet und bei der Gelegenheit gleich auch Rezepte für Fango, Massagen, Krankengymnastik und manuelle Therapie mitgeliefert.
Kur-Urlaub nannte man das, was Heinz Baginski hier machte. Morgens ließ er sich zuerst von Ronny Lange in der Mühlenstraße in der Schlickpackung weichkochen, dann kräftig durchkneten und anschließend auch noch craniosacral therapieren. Das war die Kur und dauerte in der Regel eine Stunde. Danach hatte Heinz Baginski für den Rest des Tages frei, also Urlaub. Der Behandlungstermin heute war erst um halb zehn gewesen, und deshalb musste er jetzt ordentlich in die Pedale treten, wenn er die Vogelkoje noch geöffnet vorfinden wollte.
Der Wind fand dank der Körperfülle des Bottropers reichlich Angriffsfläche und drückte die Geschwindigkeit, zu der Heinz Baginski in der Lage war, hart in den einstelligen Stundenkilometerbereich. Überall an der alten Klapperkiste, die er sich heute Morgen gemietet hatte, quietschte es, aber zum
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