Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leander und die Stille der Koje (German Edition)

Leander und die Stille der Koje (German Edition)

Titel: Leander und die Stille der Koje (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
Vom Netzwerk:
junger Mann«, sagte der Kojenwärter. »Zwölf Uhr. Ich mache jetzt dicht.«
    Es war zum Verzweifeln.
    »Kann ich nicht noch eben …«, begann Heinz, aber der Kojenwärter winkte bestimmt ab und begleitete dies mit einem heftigen Kopfschütteln.
    »Neenee, da müssen Sie morgen wiederkommen. Ich habe hier jetzt noch eine Menge zu tun.«
    Was es angesichts der Handvoll Enten hier zu tun gab und inwiefern ein Besucher dabei störte, erschloss sich Heinz Baginski zwar nicht, aber da war wohl jeder Widerstand zwecklos, zumal das Federvieh dank der lauten Stimme des Kojenwärters bereits wieder in einer der Pfeifen verschwunden war. Also baute der Erfolglose seine Ausrüstung ab und hängte sich seine Geräte nach bewährter Art um den Hals.
    »Gucken Sie doch mal am Vorland«, riet der Wärter noch, als Heinz durch den Buschtunnel zurück zu seinem Fahrrad trottete. »Da sind auch immer viele Möwen.«
    Möwen, dachte Heinz, ich will keine Möwen, ich will Enten, und die kriege ich auch – und zwar heute, verlass dich drauf, du Kojen-Schimanski!
    Er war selbst erstaunt, denn ihm hatte sich eine Idee eingeschlichen, ein Plan gar, und der sah so aus: Heinz Baginski würde nicht zurück nach Wyk radeln. Er würde, wie ihm der Kojenwärter geraten hatte, am Deich entlang zum Midlumer Vorland fahren und dort abwarten. Später, wenn der Kojenwärter sicher verschwunden war, würde er dann zur Vogelkoje zurückkehren und die Enten fotografieren. Das würde ihm morgen einen ganzen Vormittag sparen und dazu den erneuten Eintritt.

    Henning Leander saß in der Küche seines kleinen Fischerhäuschens in der Wilhelmstraße mit einer Kaffeetasse in der Hand am Küchentisch und schaute in den Garten hinaus. Das heißt, eigentlich schaute er in die Wildnis hinaus, die sein Großvater dereinst als Garten angelegt hatte. Leander wohnte nun ein gutes halbes Jahr in diesem Häuschen, das seit dem Tod des alten Heinrich ihm gehörte, und in der ersten Zeit war der Winter sein Freund gewesen, wenn es darum ging, einen Grund zur Vermeidung der Gartenarbeit zu finden. Aber dieser Winter war, so unerbittlich und unwirtlich er sich diesmal auch in die Länge gezogen hatte, seit einiger Zeit vorbei. Der Frühling hatte für ein üppiges Pflanzenwachstum gesorgt. Dabei hatte Leander sich gezielt an den Blüten der Obstbäume erfreut, wenn er morgens durch das Küchenfenster geschaut hatte, und die Wiese, die Woche für Woche höher wurde, einfach ignoriert. Doch das ging nun nicht mehr: Der Sommer war gekommen, die Bäume hatten ihre Blüten gegen Fruchtknoten getauscht, die langsam zu ganzen Früchten heranwuchsen, und nichts mehr lenkte das an Ästhetik gewöhnte Auge von der Wildnis ab, die den Garten zu verschlingen drohte. Sogar die Holzhütte im hinteren Teil, zu der Leander im Schnee noch mühelos vorgedrungen war, wenn er Brennholznachschub geholt hatte, entschwand allmählich ganz dem Blick des Betrachters. So ging das nicht weiter.
    Leander seufzte, schenkte sich aber zunächst noch einmal Kaffee nach, bevor er sich zu der unvermeidlichen Erkenntnis durchrang, dass die Ruhe nun ein Ende haben musste. Die Bürden des Haus- und Gartenbesitzers harrten seiner, und sie taten dies mit einer Unerbittlichkeit, derer er sich nicht länger erwehren konnte. Kurz und gut: An diesem Sommermorgen fasste der frühere Hauptkommissar des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein, der einst für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zuständig gewesen war, den Entschluss, ab sofort die Rekonvaleszenz seines Burn-out-Syndroms zu beenden und in eigener Sache therapeutisch-produktiv tätig zu werden. Er würde jetzt und hier der auf natürliche Weise organisierten Wildnis des Gartens und der Wirrnis seiner Psyche den Kampf ansagen; er würde mit Sichel und Sense zu Werke gehen – für die Astschere war es zum Glück zu spät im Jahr. Und er wollte auch den Umgang mit dem Spaten nicht scheuen, wenn es denn unbedingt nötig würde.
    Er trank den letzten Schluck Kaffee. Das Ausspülen der Tasse bot noch eine kurze Galgenfrist, und auch die Suche nach seinen alten Klamotten in den Untiefen des Kleiderschrankes hatten etwas derart Herauszögerndes, dass sich bereits das schlechte Gewissen zu rühren begann. Doch einige Minuten später stand Henning Leander in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen in seiner Wildnis, die zum Glück noch einigermaßen im Schatten lag.
    Er genoss in der Wärme des Sommermorgens einen Moment lang das Vogelgezwitscher in den

Weitere Kostenlose Bücher