Leaving Paradise (German Edition)
dazu, meine Meinung über das Jugendstrafrecht zu äußern, sonst stehen wir in ein paar Wochen noch hier. Sie haben heute gute Arbeit geleistet.«
Ich werfe ihr ein dankbares Lächeln zu.
Sie beginnt, das Blatt auszufüllen, unterbricht jedoch mittendrin. »Hier steht, Sie hätten Erfahrung im Baugewerbe. Wissen Sie was? Ich habe vielleicht noch eine andere Aufgabe für Sie. Falls Sie Lust dazu haben, natürlich.«
»Was für eine Aufgabe?«
»Sind Sie handwerklich begabt?«
»Mehr als die meisten«, sage ich und grinse.
Die alte Dame zeigt auf einen Holzstapel in der hinteren Ecke des Gartens. »Also schön, Mr Mehr-als-die-meisten. Meinen Sie, Sie könnten mir aus diesem Stapel alten Holzes einen Pavillon bauen? Sie wissen doch, was ein Pavillon ist, oder?«
Ja, ich weiß, was das ist. Einen zu bauen wird mindestens ein paar Wochen dauern, wahrscheinlich sogar lange genug, um sämtliche Sozialstunden damit abzuleisten.
Was denke ich da? Ich kann nicht Seite an Seite mit Maggie arbeiten. Auf gar keinen Fall. Es würde niemals funktionieren.
Obwohl es nicht so ist, als würde ich tatsächlich mit ihr arbeiten. Ich wäre beim Bau des Pavillons auf mich allein gestellt. Die Art, wie Mrs Reynolds mich ansieht, voller Vertrauen, ist Balsam für mein geschundenes Ego. Ich denke nicht an Maggie. Ich denke nicht an richtig oder falsch. Ich platze heraus: »Ich kann Ihnen einen bauen.« Ich sollte ehrlich mit der alten Dame sein und ihr erzählen, weswegen ich verurteilt wurde. Und, noch wichtiger, wen ich laut Urteil angefahren habe. »Mrs Reynolds, ich will ehrlich mit Ihnen sein …«
Wie aufs Stichwort klingelt das Telefon. Die alte Dame nimmt ihren Gehstock und eilt ins Haus. »Kommen Sie einfach morgen wieder und wir führen unsere Unterhaltung dann weiter.«
Jetzt muss ich rennen, um den Bus noch zu erreichen. Als ich einsteige, sitzt Maggie in einer der vorderen Reihen, also gehe ich nach hinten durch.
Die fünfzehnminütige Fahrt kommt mir wie eine Stunde vor. An unserer Haltestelle sind wir die einzigen, die noch im Bus sitzen. Wir steigen aus und ich lasse sie vorausgehen, während ich langsamer folge.
Meine Schwester ist draußen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie mich und Maggie hintereinander die Straße entlanggehen sieht, ist unbezahlbar.
»Bist du gerade mit Maggie nach Hause gekommen?«, fragt Leah und folgt mir ins Haus.
»Wir waren im selben Bus. Mach dir bloß nicht ins Hemd deswegen.«
»Weswegen soll Leah sich nicht ins Hemd machen?«, fragt meine Mom, die mitten in unsere Unterhaltung platzt, von der sie meiner Meinung nach besser nichts mitbekommen sollte.
»Nicht wichtig«, sage ich zu Mom, dann sehe ich meine Schwester mit schmalen Augen an und flüstere ihr so leise zu, dass nur sie mich hören kann: »Hör auf, so einen Wind deswegen zu machen.«
Leah flüchtet auf ihr Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Mom kehrt vollkommen ahnungslos in die Küche zurück.
Die Beckers sind eine Bilderbuchfamilie. Eine megaverkorkste Bilderbuchfamilie.
22 Maggie
Am Montag mache ich mich nach der Schule auf den Weg zum Bus. Als ich einsteige, sehe ich Caleb, der schon hinten drin sitzt. Es war schlimm genug, letzte Woche auf dem engen Speicher Seite an Seite mit ihm zu arbeiten. Falls ich wieder mit ihm zusammenarbeiten muss, kündige ich.
Aber dann kann ich mir abschminken, nach Spanien zu gehen.
Und wenn ich nicht nach Spanien gehe, werde ich Paradise nächstes Semester nicht verlassen.
Und wenn ich Paradise nächstes Semester nicht verlasse, werden Caleb und seine Freunde sich bis zum Abschlussball über mich schlapplachen, während ich zu Hause hocke und ihnen damit beweise, wie recht sie haben.
Vielleicht ist er heute gar nicht auf dem Weg zu Mrs Reynolds und ich flippe hier völlig grundlos aus. Vielleicht arbeitet er irgendwo anders und erledigt komische Jobs. Aber als er mir in Mrs Reynolds’ Garten folgt, werden meine Ängste Wirklichkeit.
»Kommt herein, ihr beiden. Irina hat Kuchen vorbeigebracht.« Mrs Reynolds geht ins Haus, ohne zu bemerken, dass weder Caleb noch ich ihr folgen.
»Hat ja lang genug gedauert«, sagt Mrs Reynolds, als ich schließlich in die Küche komme. »Hier, ich habe euch beiden ein Stück abgeschnitten.«
Ich setze mich an den Küchentisch und starre den Kuchen an. Normalerweise würde ich ihn im Handumdrehen verputzen, aber ich kann nicht. Caleb kommt herein und nimmt mir gegenüber Platz. Ich konzentriere meinen Blick auf die
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