Leaving Paradise (German Edition)
eine reizende Dame.«
»Danke«, sage ich, stolz auf Mom. Für eine Mom ist sie ganz schön cool. Ich wünschte bloß, mein Dad hätte sie reizend genug gefunden, um mit ihr verheiratet zu bleiben.
Mrs Reynolds reicht mir das Bild, auf dem der kleine Junge zu sehen ist. »Das ist mein Sohn.«
Ich muss beinah lachen, während ich das Foto betrachte. Wer hätte gedacht, dass dieser kleine Junge eines Tages der Boss meiner Mom sein würde?
»Er war einmal verheiratet. Sie ist fünf Jahre später an Eierstockkrebs gestorben.« Sie seufzt.
»Hatten sie Kinder?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Schön, genug Zeit vertrödelt. Ich habe einiges an Zeug, das entsorgt werden muss. Wir stapeln es in einer separaten Ecke, damit es irgendwann zum Müll gebracht werden kann. Irgendwo hier sind ein paar Kisten, auf denen Steuer steht.« Sie zeigt in eine Ecke des Speichers. »Ich glaube, sie sind da drüben.«
Ich gehe zu den Kisten und mache einen raschen Spinnenscan. Igitt. Spinnennetze hängen in den Dachschrägen, sie warten nur darauf, dass ein nichts ahnendes Insekt vorüberfliegt. Ich kann die Spinnen nicht mal entdecken. Es ist, als hielten sie sich wie Spione im Dunklen verborgen, bis die Beute sich in ihren Netzen verstrickt und chancenlos um ihr Leben kämpft.
Allein beim Gedanken daran schüttle ich mich. Gott sei Dank bin ich kein Insekt.
»Margaret?«
»Ja?«
»Ich werde mit jeder Sekunde älter, Kind.«
Ich vergrabe meine Hände in den Ärmeln des Mumu und schiebe die Kartons mit Mumu-bedeckten Fäusten zur Seite. Ich versuche, nicht an mein Bein zu denken und daran, wie ich mich zwischen den Kartons bewegen soll, während Spinnen von der Decke auf mich herabstarren.
Ich habe mir einen Weg freigeräumt und werfe einen Blick hinter den Kistenstapel. Einen orangefarbenen Container sehe ich mir genauer an. »Was für welche müssen es sein? Umzugskartons oder Akten-Container?«, frage ich.
»Ich weiß nicht mehr, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie beschriftet sind.«
Also schön. In der Hoffnung das Wort Steuer auf ihnen zu entdecken, beginne ich Kisten umzudrehen.
Ich quietsche erschrocken auf, als ich jemanden hinter mir höre, und fahre herum.
Doch dann sehe ich, dass es nur Mrs Reynolds ist.
»Jetzt beruhige dich«, schilt sie mich. »Hast du eine Steuerkiste gefunden?«
»Ich glaube schon.« Ich hebe eine Schachtel auf, die mit Steuer 1968 beschriftet ist. »Ist das hier eine?«
Sie klatscht in die Hände, wie eine Lehrerin es tun würde, wenn ein Schüler ihr die richtige Antwort gibt. »Ja. Stell sie neben die Tür. Es sind so viele zu entsorgen, dass wir sicher ein paar Tage dafür brauchen werden.«
Kaum dass ich den Wegwerfstapel mit der ersten Schachtel eröffnet habe, klingelt es an der Haustür. Mrs Reynolds hört es nicht. »Jemand hat an der Tür geläutet«, sage ich.
Sie zieht die Augenbrauen zusammen und neigt den Kopf lauschend zur Seite. »Ich höre nichts, aber andererseits sind meine Ohren inzwischen genauso schwach wie meine Augen. Sei ein Engel und sieh nach, wer es ist, bitte.«
»Natürlich.« Ich gehe die Treppe hinunter. Es läutet noch zweimal, ehe ich an der Tür bin. Ich öffne sie schwungvoll, nur um im nächsten Moment rückwärts zu stolpern. Denn Caleb Becker ist die letzte Person, von der ich erwartet hätte, sie vor mir stehen zu sehen.
Und zum zweiten Mal seit seiner Rückkehr streckt er die Hand nach mir aus.
21 Caleb
Ich schwöre, beinah wäre mein Bein unter mir weggeknickt. Denn die letzte Person, von der ich gedacht hätte, dass sie mir die Tür von Mrs Reynolds’ Haus öffnet, ist Maggie Armstrong, die ein lächerliches, viel zu großes Kleid trägt, das über und über mit rosa und grünen Blumen bedruckt ist.
Ich versuche noch, ihren Arm zu packen, als sie das Gleichgewicht verliert, aber da ist es auch schon passiert. Einmal auf dem Boden, weigert sie sich, meine ausgestreckte Hand zu ergreifen.
»Was … was machst du hier?«
»Was machst du hier?«, frage ich sie.
»Ich arbeite hier nach der Schule«, sagt sie, während sie gleichzeitig versucht, es so aussehen zu lassen, als sei sie völlig zufrieden damit, auf dem Boden sitzen zu bleiben.
Ich schiebe meinen Ausweis von der Strafvollzugsbehörde schnell zurück in die hintere Hosentasche. Dann überprüfe ich die Adresse in meiner Hand zweimal, ehe ich sage: »Ich bin hier, um eine Mrs Reynolds zu treffen. Das ist doch ihr Haus, oder?« Der Hass, den Maggie für mich
Weitere Kostenlose Bücher