Lebe deine eigene Melodie
offen und voller Aussichten, da wir selbst es sind, die zählen, und nicht Bedingungen, von deren Erfüllung wir abhängen.
Hoffnung ist eine innere Einstellung, die die Art und Weise, wie wir altern, grundlegend beeinflusst. Die Autorin Christiane Singer meint: »Allein die Vorstellung des Verfalls zieht bereits unwiderruflich sein Eintreten nach sich. Wir leben und sterben an unseren Bildern.« Die innere Einstellung ist unsere Achillesferse, unser verwundbarer Punkt, über den sowohl das Gift wie auch das Heilende in uns eindringen. Deswegen ist die Hoffnung so wesentlich, weil sie unser Empfinden, Gefühl und Denken in eine positive
Richtung bewegt. Menschen, die hoffen, werden schneller gesund, haben mehr Lebensenergie, verkraften Umstellungen besser, weil sie eine positive Erwartungshaltung haben, die spürbare und nachweisbare Veränderungen im Körper bewirken, weil sie die Selbstheilungskräfte aktivieren. Selbst Spontanheilungen bei Krebserkrankungen lassen sich teilweise so erklären, dass die Hoffnung die Betroffenen dazu befähigt, nach der Diagnose ihr Leben zu verändern. Sie verändern ihre Ernährung, ihre Lebensgewohnheiten und Lebensziele. Sie glauben fest daran, die »Ausnahme von der Regel« zu sein und beteiligen sich voller Hoffnung an der Therapie. Der Glaube, dass sie Einflussmöglichkeiten haben und die Bereitschaft, sich voll für ihre Gesundung einzusetzen, setzt Kräfte frei und gibt ihnen das Gefühl mitzusteuern, statt ausgeliefert zu sein.
Die Talfahrt durch Verzweiflung und Depression führt zu neuen Horizonten, wenn wir bereit sind, unter den oberflächlichen Wünschen zu den tieferen Strömungen der Hoffnung vorzudringen. Ich spreche nicht von der Resignation, auch nicht vom gemütlichen Feierabendfrieden, sondern von der Auflehnung, die zwar das Unvermeidliche akzeptiert, aber sich dennoch ein mutiges »Trotzdem« zugesteht. Ein Trotzdem, das sich empört gegen das, was das Leben bleiern und tot macht. Ein Trotzdem, das selbst urteilt und dabei neues Leben entdeckt. Ein Trotzdem, das nicht aufgibt, und weiter hofft. Falls die Menschen Recht haben sollten, die meinen, dass Altwerden »Murks« sei, bleibt immer noch die Hoffnung, dass wir ihnen ein Schnippchen schlagen, indem wir uns selbst zu gegebener Zeit eine eigene Meinung gestatten.
Pearl S. Buck hat es in einen schönen Satz gepackt: »Die Hoffnung aufzugeben bedeutet, nach der Gegenwart auch die Zukunft preiszugeben.«
Unruhe bewahren
Sie saß im Wartezimmer des Arztes, der sie bestellt hatte, um mit ihr den Befund der Vorsorgeuntersuchung persönlich zu besprechen. Der junge Arzt holt sie ab, stutzt und fragt: »Warum haben Sie denn so zittrige, kalte Pfoten?« Gerade noch rechtzeitig kann sie ihren gewohnten Höflichkeitsreflex unterdrücken. Sie spürt, wie die heiße Wut in ihr hochkocht und faucht ihn an: »Erstens habe ich Hände, zweitens friere ich, weil ich schon seit zwei Stunden in Ihrem kalten Wartezimmer warte, und drittens habe ich Angst.« Früher hätte sie so etwas nie gesagt. Sie hätte sich geschämt und fast unterwürfig entschuldigt. Sie hätte gar nicht wahrnehmen dürfen, was sie fühlte. Zu ihrer Freundin sagt sie: »Endlich bin ich so weit, dass ich direkt sage, was ich empfinde. Ich bin ganz überrascht, wie leicht es mir jetzt fällt. Was habe ich früher alles verdrängt, geschluckt, weggedrückt. Wie habe ich mich verbogen! Bin ich froh, dass ich heute das Dumme, Unverschämte endlich beim Namen nennen kann. Nie war ich so wild entschlossen wie heute. Ich lasse mir einfach nichts mehr gefallen, nur weil ich älter bin. Ich zeige endlich, wer ich bin.« Ein ähnliches Beispiel: »Ich sehe überhaupt nicht ein, dass ich mich von einem Arzt wiegen lasse – ich bin doch kein Stück Fleisch. Waagen gehören zum Metzger oder zum Fischhändler.«
Es klingt vielleicht paradox, aber Älterwerden bedeutet für viele das Ende der Kompromissbereitschaft und Fügsamkeit, und der Anfang des »Selbstseins«. Die Zeit der falschen Anpassungen, die Zeit des »schneller, höher, gaga« ist passé, wir gehen nicht mehr gegen unser eigenes Ich an. Wir haben nun begriffen, wie viele Dinge man nicht tun kann, und wie viele Menschen man nicht sein kann. Die Zeit des
Müssens ist vorbei. Man sondert aus, wird die Sachen los, die überflüssig sind, erfüllt die Aufgaben, die einen wirklich interessieren, verbringt die Zeit mit Menschen, die einem wichtig sind, und was sich daraus ergibt, das ist mehr und mehr man
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