Lebe die Liebe
einer großen Party am Schreibtisch zu sitzen.«
»Daran gewöhnt man sich. Das ist nur eine Sache der Konzentration.«
»Justin lässt dir ausrichten, dass er in einigen Stunden zurück sein wird.«
Das ist es also, dachte Serena und stand auf. Sie ging zu Diana und legte ihr beide Hände auf die Schultern. »Diana, bitte, sprich dich aus. Ich liebe Justin, aber das heißt absolut nicht, dass ich nicht verstehen könnte, wie du dich fühlst.«
»Ich hätte nicht kommen sollen.« Diana schüttelte den Kopf und sah ihre Schwägerin traurig an. »Jetzt, wo ich so nah bei ihm bin, fallen mir Dinge ein, die ich längst vergessen glaubte. Serena, ich wusste nicht, dass ich meinen Bruder immer noch liebe. Und das tut weh.«
»Liebe tut manchmal weh«, antwortete Serena leise und legte einen Arm um Dianas Schultern. »Du musst nur etwas Geduld haben. Lass dir selbst und auch Justin Zeit.«
»Aber ich kann ihm nicht verzeihen, dass er mich im Stich gelassen hat, Serena. Ich kann nicht vergessen, dass ich all die Jahre ohne ihn auskommen musste.«
»Diana, kannst du dir denn nicht vorstellen, dass es für ihn genauso schlimm war?«
Dieser Aspekt schien ebenso neu wie überflüssig zu sein. »Aber im Gegensatz zu mir hatte er damals die Wahl, er hätte mich nicht alleinlassen müssen«, sagte sie traurig.
»Du warst sechs, er sechzehn Jahre alt, das darfst du nicht vergessen«, antwortete Serena, hin und her gerissen zwischen der Liebe zu ihrem Mann und dem Verständnis für Diana. »Was hätte er anderes tun sollen?«
»Er hat mir nicht einmal geschrieben, mich angerufen oder gar besucht. Nicht ein einziges Mal in zwanzig Jahren.« Als Diana das zum ersten Mal aussprach, was sie bisher nur immer wieder gedacht hatte, stieg die ganze Verzweiflung wieder in ihr hoch. »Ich habe gehofft, dass er zurückkommen würde, wenn ich nur all das tat, was man von mir verlangte. Ich wurde zu einem Musterkind, lernte mich zu benehmen und zu beherrschen, war gut in der Schule … Und die ganze Zeit über habe ich nur darauf gewartet, dass Justin endlich zurückkäme. Aber nichts passierte. Er hat bestimmt noch nicht einmal an mich gedacht.«
»Das ist nicht wahr.« Serena griff nach Dianas Armen und hielt sie fest. »Diana, du verstehst das völlig falsch.«
»Du bist es, die das völlig falsch versteht«, wiederholte Diana ironisch. »Nein, ich verstehe gar nichts falsch. Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie es ist, wenn einem alles genommen wird, man nirgendwo mehr hingehört. Wenn man weiß, dass man nur auf die Gnade anderer angewiesen ist, wenn jeder Bissen, den man isst, jedes Kleid, das man trägt, seinen Preis hat.«
»Was meinst du denn, wem du das Essen und die Kleider zu verdanken hast?«, fragte Serena plötzlich ganz ruhig.
»Oh, das weiß ich nur zu gut. Sie hat keine noch so kleine Gelegenheit ausgelassen, um mich das spüren zu lassen. Tante Adelaide gehört nicht zu den Menschen, die helfen, ohne viel Aufhebens darum zu machen.«
»Justin hat das alles bezahlt.« Serena konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten. Die Worte waren ihr schneller herausgeschlüpft, als sie es eigentlich gewollt hatte. »Er hat deiner Tante jeden Monat einen Scheck geschickt, und zwar von dem Zeitpunkt an, als sie dich aufgenommen hat, bis zum Ende deines Studiums in Harvard. Zu Anfang waren es Schecks über recht geringe Beträge, aber Justin arbeitete sich schnell hoch, und entsprechend höher wurden die Schecks. Deine Tante hat dich damals aufgenommen, weil dein Bruder versprochen hatte, für dich zu bezahlen. Und er hat bezahlt, Diana – mit mehr als nur Geld. Seine damaligen Lebensumstände sind für dich nicht vorstellbar.«
Diana stand wie erstarrt da. Ihr war, als hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Sie konnte nicht fassen, was sie da gehört hatte. »Er hat dafür bezahlt?« Ihre Stimme klang rau. »Justin hat Tante Adelaide Geld für mich geschickt?«
»Etwas anderes konnte er dir nicht geben. Verflixt, Diana, du bist doch Anwältin. Kannst du dir nicht vorstellen, was aus dir geworden wäre, wenn Justin nicht dafür gesorgt hätte, dass deine Tante dich aufnahm?«
Pflegeeltern, dachte Diana. Vielleicht sogar ein Kinderheim. »Sie hätte ihn doch auch aufnehmen können.«
Serena sah sie fragend an. »Meinst du, dazu wäre sie bereit gewesen?«
Diana presste ihre Fingerspitzen an die Stirn. Plötzlich hatte sie rasende Kopfschmerzen. »Nein. Aber später, als ich älter geworden war, hätte er sich doch
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