Lebe lieber innovativ
mir sagte: »Du bist wirklich gut in Naturwissenschaften. Du solltest dir überlegen, Krankenschwester zu werden.« Ein schöner Vorschlag, doch es ist nur eine von unendlich vielen Tätigkeiten, denen man mit einem Talent und Faible für Naturwissenschaften nachgehen kann.
In meinen Kreativitätskursen müssen die Studentengruppen sich jeweils eine Organisation aussuchen, die ihrer Meinung nach innovativ ist. Die Gruppen besuchen dann »ihre« Unternehmen, interviewen die Beschäftigten, beobachten sie bei der Arbeit und ziehen ihre eigenen Schlüsse daraus, was genau die Kreativität der Organisation ausmacht. Ihre Erkenntnisse stellen sie anschließend im Seminar vor. Eine der Gruppen beschäftigte sich intensiv mit dem Children’s Discovery Museum , dem Kindermuseum in San José. Über mehrere Tage begleiteten sie die Mitarbeiter und Besucher, um herauszufinden, wie der Museumsalltag tatsächlich aussieht. An einer Stelle bauten Kinder eine Mini-Achterbahn, bei der sie verschiedene Komponenten verändern und somit herausfinden konnten, was die Veränderung bewirkt. Ein achtjähriges Mädchen war gerade dabei, die Länge, die Höhe und die Winkel der verschiedenen Bestandteile zu verändern, und führte unterschiedliche Simulationen durch, um zu sehen, was passierte. Ein Museumsmitarbeiter beobachtete sie eine Weile dabei und sagte: »Du machst gerade dasselbe wie ein Ingenieur.« Später fragten meine Studenten das Mädchen, was es denn im Museum gelernt hätte. Sie überlegte kurz und antwortete voller Zuversicht: »Ich habe gelernt, dass ich Ingenieurin werden könnte.«
Genauso wie das Mädchen im Museum empfängt jeder Mensch von anderen direkte und indirekte Botschaften über die Rolle, die wir ihrer Ansicht nach einnehmen sollten. Vor ein paar Jahren erzählte mir eine Kollegin, eine Professorin für Maschinenbau, eine bemerkenswerte Geschichte. Sie hatte an ihrer Universität einige Freundinnen, die alle Ingenieurinnen in verschiedenen Fachbereichen waren. Meine Freundin hat einen kleinen Sohn, und wenn die Frauen sich mal wieder
bei meiner Freundin zu einem gemeinsamen Abendessen trafen, war meist auch ihr Sohn in der Nähe. Er beobachtete die Frauen ganz genau und hörte ihren Unterhaltungen interessiert zu. Als er älter wurde und sich zeigte, dass er gut in Mathematik und Naturwissenschaften war, sagte jemand zu ihm: »Du solltest dir überlegen, Ingenieurwesen zu studieren.« Da verzog er das Gesicht und meinte: »Auf gar keinen Fall, Ingenieurwesen ist doch nur etwas für Frauen!« Später erzählte er seiner Mutter, er habe die Gespräche, die sie mit ihren Freundinnen über Ingenieurwesen geführt hatte, immer als »Frauengespräche« empfunden.
Hier nun ein Rätsel: Ein Junge und sein Vater haben einen Unfall und kommen ins Krankenhaus. Aus dem Operationssaal hört man die Person, die operieren soll, laut rufen: »Ich kann den Jungen nicht operieren, er ist mein Sohn.« Was ist da los? Als ich meinen sehr fortschrittlichen, als Medizinerinnen tätigen Freundinnen diese Rätselfrage stellte, kamen sie einfach nicht dahinter, dass die Stimme aus dem Operationssaal die Stimme der Mutter des Jungen war. Sie versuchten, die Frage mithilfe von verwickelten Erklärungen zu beantworten, die alle voraussetzen, dass der Chirurg ein Mann war. Als sie die richtige Antwort hörten, war es ihnen furchtbar peinlich, dass auch sie in diese traditionelle Falle getappt waren.
Wenn ich an die Ratschläge zurückdenke, die man mir erteilte, liegt es auf der Hand, dass ganz bestimmte Menschen großen Einfluss auf mich hatten – einige ermutigten mich und andere nicht. Als ich etwa 14 Jahre alt war, hatte unsere Familie sehr regen Kontakt mit einem Freund, der Neurochirurg war. Mich faszinierte das menschliche Gehirn und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, um ihn über seine Arbeit zu befragen. Er fand das »niedlich« und machte
einen Scherz. Ich war enttäuscht und stellte die Frage nie wieder.
Erst während des Studiums hat mich einer meiner Dozenten dazu ermutigt, mein Interesse am menschlichen Gehirn weiterzuverfolgen. Das passierte in meinem ersten Seminar in Neurowissenschaften im zweiten Studienjahr. Der Professor stellte uns eine ungewöhnliche Aufgabe: Er bat uns, eine Reihe von Versuchen durchzuführen, um herauszufinden, wofür ein ganz bestimmter Teil des Gehirns zuständig ist. Er sagte, dass niemand dessen Funktionen wirklich kannte, und ließ uns eine Strategie entwickeln, um sie zu bestimmen.
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