Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
wirklich nirgendwohin, stimmt’s?«
»Unsinn.« Er streichelte mein Handgelenk. »Ich habe zwar gesagt, dass du von Anfang an ein Fehler warst, aber du bist ein überaus liebenswerter Fehler und mit den richtigen Anpassungen wirst du dich wunderbar in unser Reich einfügen. Und wenn du dann noch den Zielen der Königin dienst, umso besser. Du bist nicht für diese Erde gemacht, Evelyn. Du hast es nicht verdient, so zerbrechlich, so vergänglich, so sterblich sein zu müssen. Du solltest ewig sein.« Er beugte sich ganz nah zu mir vor und ein ebenso zärtliches wie besitzergreifendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ewig mit mir zusammen.«
Ich musste hier so etwas wie ein Zuhause haben. Irgendetwas musste ich doch haben. »Was ist mit meiner Mom?«
Reths Mundwinkel sanken und er wandte sich zu der anderen Fee um. »Hast du die Mutter des Mädchens gefunden?«
Lin murmelte etwas Unverständliches.
»Was hat er gesagt?«
»Er weiß nicht, wo sie ist.«
»Nein«, flüsterte ich.
»Es tut mir leid. Eine Fee zu lieben ist nicht gerade das Gesündeste, was einem Menschen passieren kann. Es entwickelt sich zur Sucht und wenn der Gegenstand ihrer Besessenheit sich von ihnen zurückzieht, siechen sie einfach dahin. An meinem Hof wird es nicht gern gesehen, es sei denn, man bringt den Sterblichen mit ins Feenreich, wo sein Verlangen durch das Leben unter den Feen gestillt werden kann.«
Ich stand auf, mein Kummer drohte mich vollkommen zu überwältigen. Ich konnte das nicht ertragen. Es war zu viel. Wie die unwiderstehliche Anziehungskraft der Dunklen Königin würde mich dieses Gefühl mit Haut und Haaren verschlingen, mich auffressen. Ich musste es schleunigst durch etwas anderes ersetzen. Jacks Worte hallten in meinem Kopf wider – es war fast immer besser, wütend zu sein als traurig.
»Du da.« Ich stapfte hinüber und stellte mich direkt vor die Fee, die mich erschaffen hatte. Er blickte nicht auf. »Melinthros, du siehst mich jetzt an.«
Sein Kopf zuckte ruckartig nach oben, sein verschleierter Blick fand meinen.
»Sag mir, was mit meiner Mutter passiert ist.«
Er redete, als würden ihm die Worte gewaltsam entrissen, was ja, dank meines Befehls, auch so war. »Sie hat sich um das Baby gekümmert, bis sie nicht länger vonnöten war.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Ich weiß nicht.«
»Sag mir, wo sie ist!«, schrie ich ihn an.
»Das kann ich nicht.«
Meine Finger spreizten sich an meinen Seiten. Er musste es mir sagen. Ich würde ihn dazu bringen.
»Evelyn.« Reths Stimme war so sanft wie seine Berührung an meinem Arm. »Ich habe vor einem Jahr selbst versucht, sie zu finden. Es tut mir leid.«
Reths goldene Augen holten mich zurück in die Realität. Eine Realität, in der ich einsamer war denn je. So schlimm es auch gewesen war herauszufinden, dass ich genau wie Vivian war, als diese einen Paranormalen nach dem anderen tötete – verglichen damit, wie ich mich jetzt fühlte, war das gar nichts. Damals war ich zumindest nur gezwungen gewesen zuzugeben, dass ich nicht ganz normal war. Aber da hatte ich gedacht, das bedeutete mehr als menschlich. Nicht weniger.
»Komm mit mir. Für dich gibt es hier nichts, meine liebste Neamh.«
Das letzte Wort ergriff von mir Besitz, raste durch meinen Körper wie ein elektrischer Strom. Ich kannte dieses Wort. Ich war dieses Wort. Er hatte meinen Namen wirklich die ganze Zeit gewusst. Aber ich war keine Fee und mein Name hatte keinen Anspruch auf meinen Willen. Niemand hatte einen Anspruch auf mich.
»Ich gehöre nicht dir«, zischte ich.
Die Tür sprang auf. Da stand Jack, schwer atmend, einen goldenen Kelch in der Hand. »Dein Getränk.«
»Jack.« Ich ging auf ihn zu, schwankte, wollte irgendwo anders sein. Irgendwer anders sein. »Bitte bring mich nach Hause.«
»Du bist hier nicht sicher vor der Dunklen Königin und du wirst es auch nie ganz sein. Lass mich dich nach Hause bringen«, sagte Reth. Seine Stimme glitt warm durch die Kälte in mir. Er meinte nicht meine Wohnung.
Ich drehte mich zu ihm um. Er kannte mich. Er wusste, was ich war, wer ich war. Es war seine Schuld – seine und die aller anderen Feen. Sie zerstörten alles, was sie berührten. Aber jetzt drehte ich den Spieß um.
»Melinthros«, sagte ich, das Bild der Autowracks noch deutlich vor Augen, »du wirst ins Feenreich zurückkehren und du wirst niemals wiederkommen. « Die blutunterlaufenen Augen fielen ihm fast aus dem Kopf und er klammerte sich an seine Dose Cola.
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