Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
sicher mindestens genauso oft durchgekommen wie ich. Hast du es nie mal selbst versucht?«
Ich beging den Fehler, auf meine Füße hinunterzusehen, die in der Leere standen, und alles, was ich spürte, war der Drang, mich zu übergeben. »Können wir jetzt bitte hier abhauen?«
»Mensch, Evie, du hast wirklich keine Ahnung, wie man sich amüsiert, stimmt’s?« Er streckte die flache Hand aus und kniff die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren. Die Dunkelheit schlug plötzlich Wellen und ein Lichtstrahl drang hindurch, der jedoch nichts erhellte, sondern lediglich eine Pforte formte, die in einen schmerzlich vertrauten weißen Flur führte.
»Trautes Heim, Glück allein«, trällerte Jack und zog mich mit sich. Hinter uns schloss sich die Pforte.
Ich fühlte mich, als wäre ich geradewegs in einen Traum hineinmarschiert. Als ich all das hier hinter mir gelassen hatte, hatte ich mir einzureden versucht, dass es aufgehört hatte zu existieren. Mit dem Summen der Neonlichter über mir bohrte sich die Erkenntnis in mein Bewusstsein, dass das Einzige, was sich verändert hatte, ich war.
Wir drehten uns beide um und sahen den Flur hinunter. Eine mir unbekannte Frau in einem Nadelstreifenkostüm rannte schreiend wie am Spieß an uns vorbei und fuchtelte wild mit den Händen durch die Luft um ihren Kopf.
Ich seufzte. »Äh, ja. Trautes Heim, Glück allein trifft mal wieder so ziemlich den Nagel auf den Kopf.«
Dann konzentrierte ich mich wieder auf den Flur. Das leise Klappern von Pumps mit bequemen Absätzen hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Dieses Mal war die Frau im Kostüm, die auf uns zukam, nicht verrückt – oder zumindest gehörte sie nicht zu der rennenden, schreienden Art von Verrückten. »Evie«, sagte Raquel und presste dann die Lippen aufeinander, um ein Lächeln zu unterdrücken.
Wieder ertönte ein Schrei; ich erhaschte einen Blick auf jemanden, der durch einen der Quergänge rannte. Er sah verdächtig nach Bud aus, meinem alten Selbstverteidigungslehrer, der eigentlich ein ziemlich harter Hund war.
»Kaum bin ich ein paar Monate nicht da, geht hier alles den Bach runter.«
Raquel schüttelte den Kopf und warf einen genervten Blick in Richtung der Schreie, die immer noch anhielten. »Tja, wo du schon mal so pünktlich bist, zeige ich dir am besten gleich den problematischen Bereich.«
»Von mir aus kann’s losgehen.« Wieder hier zu sein war wie ein Déjà-vu. Je schneller ich ihr Problem löste, desto eher konnte ich wieder gehen, um dann zu Hause ganz in Ruhe komplett auszurasten.
»Gern geschehen.« Jack winkte fröhlich, nahm Anlauf und verschwand Rad schlagend den Flur hinunter.
»Ich glaub, jetzt dreht er völlig am Rad«, sagte ich zu Raquel und sie stieß einen »Erzähl mir was Neues« -Seufzer aus. »Bei Jacks Vergangenheit ist von ihm keine große Stabilität zu erwarten. Aber er ist ein lieber Junge.«
Lieber Junge, dass ich nicht lachte. Der liebe Junge hätte es fast geschafft, dass meine Sportlehrerin mich ausnahm wie einen Karpfen.
Weitere Schreie hallten über den Flur. »Sag mal, was ist hier eigentlich los?«
»Das ist der Poltergeist. Anscheinend haben wir seinen derzeitigen Aufenthaltsort lokalisiert.«
»Hurra.«
»Wenn wir dieses kleine Problem erst gelöst haben, können wir uns sicherlich auch wieder anderen Angelegenheiten zuwenden. Aber im Moment ist es nicht nur unmöglich, dass die Mitarbeiter einfach ihren Tätigkeiten nachgehen, sondern es verschwinden auch ständig wichtige Dokumente.«
Ich folgte ihr über den Flur und bemühte mich, nicht an all die Male zu denken, die ich hier herumgetollt war. Das hier war nicht mehr mein Zuhause. Ich war zum Arbeiten hier. Es war nur ein Job. Ich konnte das alles mit professioneller Distanz sehen. Hauptsache, wir gingen nicht in Richtung Zentrale Datenverarbeitung. Raquel blieb direkt vor den Schiebetüren stehen. Natürlich. Wieso sollte heute Abend auch irgendwas einfach sein?
»Hier?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte. Von allen Räumen in der ganzen riesengroßen Zentrale musste sich der Poltergeist natürlich ausgerechnet hier einnisten. Ich schloss die Augen und dachte daran, wie ihr Aquarium ausgesehen hatte – blaugrünes Wasser, exotische Fische, ein lebendiges Korallenriff und mittendrin die fröhliche, lustige, fleißige Lish, die von Computerbildschirm zu Computerbildschirm schwamm und piep sagte.
Doch sosehr ich mich auch an dieses Bild klammerte, alles, was ich vor mir sah, waren das
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