Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
zumindest.
»Mach’s gut, Steve«, flüsterte ich in den leeren Raum hinein.
Ein paar Sekunden blieb ich noch sitzen, aber allein die Tatsache, an diesem Ort zu sein, war wesentlich gruseliger, als es jeder Spuk hätte sein können. Dieser Raum brauchte keine billigen Effekte, um mir Albträume zu bescheren. Ich rappelte mich auf, wartete, bis sich die Tür öffnete, und stolperte hinaus in den Flur.
»Raquel?« Einsam und verlassen lag der Flur vor mir. Na toll.
Ich machte mich auf zu ihrem Büro, vertieft in meine Gedanken an Lish und an den armen Steve und all die anderen Seelen, die ich aus diesem Leben entlassen hatte, manche sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Wo waren sie hingegangen? War Steve jetzt am selben Ort wie Lish? Und war er dort Steve der Vampir oder Steve, der normale Mensch? Was genau geschah eigentlich mit den Seelen, wenn ihre menschlichen Körper starben und sie zu Vampiren wurden? Und was geschah dann, wenn ihre Vampirkörper starben?
Hallo, Kopfschmerzen.
Seufzend drückte ich die Hand auf den Türscanner. Erst als nichts passierte, sah ich auf und merkte, dass ich unbewusst zu meinem alten Wohntrakt gewandert war.
Völlig perplex starrte ich auf die Tür. Es war, als müsste sich gleich ein Teil von mir, die alte Evie, vom Rest lösen, einmal lächeln und winken und dann hineingehen und sich auf die violette Couch fallen lassen. Stattdessen blieb ich in einem Stück an der Schwelle stehen, ausgesperrt aus einem Leben, von dem ich behauptet hatte, es hinter mir gelassen zu haben.
Wie oft hatte ich an all die Dinge – die tatsächlichen Gegenstände – gedacht, die ich zurückgelassen hatte. Besonders der Verlust eines Paars roter Peeptoe-Pumps machte mir zu schaffen. Jetzt gab es nämlich tatsächlich Anlässe, zu denen ich sie hätte tragen können, und da steckten sie hier in meiner Wohneinheit fest. Im Geiste hatte ich sogar schon eine Liste der Sachen angelegt, die ich mir aus meinem Zimmer schnappen würde, wenn ich jemals die Gelegenheit dazu bekommen sollte.
Aber ich kam nicht hinein, konnte nicht zurück. Und ich glaube, ich wollte es auch gar nicht. Diese Wohneinheit war wie eine Gruft für die Evie, die hier gelebt hatte, die blind gewesen war für die Probleme der Welt um sie herum und die keine Ahnung gehabt hatte, was sie wirklich war. Ihre Sachen wollte ich gar nicht mehr haben.
Ich wandte mich ab und konzentrierte mich auf den Weg zu Raquels Büro. Ich musste hier raus. Sofort. Ganz plötzlich ergriff mich ein heftiger Anfall von Klaustrophobie und die Panik, als mir klar wurde, dass ich nicht rauskonnte, solange sie mich nicht raus ließen, machte mir das Atmen schwer. Ich bog um die Ecke und rannte beinahe Jack in die Arme, der ebenso erschrocken wirkte wie ich.
»Mensch, Evie, du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
»Hähähä.« Ich fühlte mich wie ausgewrungen, vollkommen leer. Ich wollte nach Hause. »Ist Raquel in ihrem Büro?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Kommst du da nicht gerade her?«
»Nö.«
»Okaaay.«
»Evie?« Erleichtert drehte ich mich um, als ich die Stimme von Raquel hörte, die hinter mir aufgetaucht war. »Wie ist es gelaufen?«
»Die Zentrale ist offiziell spukfrei.« Na ja, zumindest der Poltergeist trieb sich nicht mehr hier rum. Aber wenn auch plagende Erinnerungen zählten, dann wäre hier rund um die Uhr Geisterstunde. Und ich hatte meine Portion Grusel für heute schon abbekommen. »Kann ich jetzt gehen? Ich bin ziemlich erschossen.«
»Selbstverständlich. Jack, würdest du bitte –«
Plötzlich erschien in der Wand neben uns eine Pforte und lenkte uns ab. Wenige Sekunden später trat eine hochgewachsene Fee mit weißem Haar und Haut von der Farbe eines reifen Pfirsichs heraus. »Du!« Ihre Stimme klirrte durch den Flur wie kaltes Metall.
Ich machte einen Satz rückwärts. »Ich will nicht –«
»Ich war’s nicht!«, rief Jack dazwischen. Verwirrt sah ich ihn an. Meinte er etwa, die Fee wäre seinetwegen hier?
Sie machte einen Schritt auf uns zu. Jack wirbelte herum, flitzte den Flur hinunter und schlitterte um die Ecke davon, sodass Raquel und ich allein mit der Fee zurückblieben. So, wie ihre kobaltblauen Augen ihm folgten, kam es mir fast so vor, als wäre sie wirklich hinter ihm her.
Aber wem wollte ich hier eigentlich was vormachen? Wenn es um Feen ging, hatte es immer was mit mir zu tun.
Raquel erholte sich schneller wieder von ihrem Schreck als ich. Sie griff in ihre Kostümjacke und
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