Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
Shirts ein Stückchen nach vorn und sah mir mein Herz an.
Es war umgeben von einem trägen Wirbel flüssiger goldener Flammen, die kaum heller waren als meine Haut, sodass ich sie gerade so erkennen konnte, wenn ich direkt hinsah. »Im Großen und Ganzen unverändert.« Ich wusste nicht, ob das nun etwas Gutes war oder nicht. Und außerdem sah ich mir die Flammen so oft an, dass es mir schwerfiel zu sagen, ob sie nun heller oder dunkler wurden. Plötzlich glühte genau in der Mitte ein greller Funke auf. Ich zog eine erschrockene Grimasse. Das war auch neu.
Lend setzte sich auf und verrenkte sich fast den Hals, um in mein Oberteil zu spähen, das ich nun hastig wieder zurechtzog. »Soweit ich weiß, kannst du gar keine Seelen sehen.«
Er zuckte mit den Schultern und machte ein übertrieben unschuldiges Gesicht. »Na, wer weiß, wenn ich ganz viel übe …«
»Du musst wirklich der selbstloseste Freund der Welt sein.«
»Wie schon gesagt, gute Dinge sind es wert, dass man Opfer dafür bringt.«
»Wo wir gerade davon sprechen, wolltest du mir nicht irgendwas mit deiner Zunge demonstrieren?«
Viel zu früh musste Lend mich zurück zur Schule bringen, damit ich noch rechtzeitig zu Englisch kam. Bevor wir in die Hauptstraße einbogen, setzte er wieder sein übliches Cover auf. Ich unterdrückte ein gequältes Lächeln, als ich daran dachte, wie seltsam es gewesen war, ihn als seinen Dad zu sehen. Und da traf mich die Lösung des ganzen Unsterblichkeitsproblems wie ein Schlag ins Gesicht. Lend musste es niemals erfahren.
Außerschulische Aktivitäten
Ich summte unter der Dusche vor mich hin; nicht gerade das Allernormalste für einen Montagmorgen, aber es lief einfach alles fantastisch. Seit der letzten Woche fühlte ich mich rundum besser.
Ich musste es Lend nicht sagen!
Wieso war ich da nicht schon früher draufgekommen? Sein Cover zeigte doch, was immer er für richtig hielt – und das bedeutete, dass er mit mir zusammen alt werden würde (oder zumindest könnte er so tun, als ob). Er selbst konnte ja nicht richtig sehen, wie er aussah, darum würde er gar nicht merken, dass er gar nicht älter wurde. Wir konnten unser, oder zumindest mein ganzes Leben miteinander verbringen, ohne dass er sich jemals mit der Tatsache auseinandersetzen müsste, dass seines niemals enden würde.
Schließlich plante Lend seine Zukunft. Eine überaus menschliche Zukunft. Es ihm jetzt zu erzählen würde ihn bloß verwirren und dazu führen, dass er seine Entscheidungen infrage stellte. Das konnte er doch gar nicht gebrauchen. Sicher, irgendwann würde ich es ihm sagen. Vielleicht, wenn wir achtzig waren und ich im Sterben lag. Das hieß, falls meine Seele überhaupt so lange durchhielt.
Aber das Kribbeln in meinen Fingern erinnerte mich daran, dass es Möglichkeiten gab, ihr Fortdauern zu verlängern. Unschuldige Möglichkeiten. Immerhin war der Sylphe nicht tot, ich hatte ihm noch nicht einmal wirklich wehgetan. Ich war sogar fast überzeugt davon, dass er sich freuen würde, wenn er wüsste, dass er einen Beitrag dazu geleistet hatte, dass ich ein langes, glückliches Leben mit Lend führen konnte.
»Hey.« Arianna steckte den Kopf durch die Tür, als ich gerade mit dem Haareföhnen fertig war. »Lust, nach der Schule was zu unternehmen?« Sie fragte in ihrem üblich gelangweilten Tonfall, aber ich glaubte, ein leichtes Zögern aus ihren Worten herauszuhören. Seitdem ich sie, wie sie glaubte, vor dem Kino hatte sitzen lassen, hatte sie mich mehr oder weniger wie Luft behandelt; es war, als hinge eine dunkle Wolke über unserer Wohnung.
»Klar! Um sieben muss ich arbeiten, aber bis dahin hab ich Zeit. An was hattest du denn gedacht?«
Ihre Schultern entspannten sich sichtlich. »Einkaufszentrum? Ich habe dem Bösen schon lange nicht mehr direkt ins Auge gesehen.«
»Und dafür musst du ins Einkaufszentrum?«
»Hast du nicht gesehen, was der Durchschnittsbürger heute so trägt? Den nächsten, den ich mit einer Hose sehe, die man per Reißverschluss zu Shorts verkürzen kann, muss ich leider umbringen. Und Uggs zu Strumpfhosen sind schlicht und einfach ein Verbrechen gegen die Menschheit. Niemand mit einem Herzschlag sollte freiwillig so was anziehen. Meins schlägt seit Jahren nicht mehr und selbst ich weiß das.«
»Aber was ist mit rosa Uggs? Das muss doch –« Auf dem Nachttischchen piepte mein Kommunikator und mein Magen sackte eine Etage tiefer. Piep. Ich hatte vergessen, dass Jack mich heute Nachmittag zu
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