Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
Wolldecken aus dem Kofferraum und hielt mir dann die Tür auf.
Wir spazierten ein Stück durch den Wald, bis wir an einen friedlichen Weiher gelangten. Das leuchtende Herbstlaub der Bäume spiegelte sich auf seiner Oberfläche, sodass es aussah, als stünde das Wasser in Flammen.
Lend breitete eine der Decken auf dem Boden aus, legte sich darauf und klopfte einladend auf den Platz neben sich. Ich wollte mich gerade an ihn kuscheln, richtete mich aber dann noch einmal auf und sah argwöhnisch auf den Weiher hinaus.
»Deine Mom ist doch nicht hier, oder?«
Er lachte. »Nein. Es ist bloß schon so lange her, seit ich das letzte Mal am Wasser war.«
Beunruhigt runzelte ich die Stirn. Rief ihn das Wasser jetzt schon zu sich, oder wie? Oder fand er es einfach schön, wegen seiner Kindheit? Ich legte mich wieder hin und schmiegte mich an ihn, den Kopf auf seiner Brust. Die Hand, die über mein Haar streichelte, verlor nach und nach ihre Pigmentierung und ich stieß die Luft aus und lächelte, auch wenn ich sein Gesicht nicht sah. Er war immer noch mein Lend. Der Lend, den niemand sonst sehen konnte.
»Ich hab meine Mom schon eine ganze Weile nicht gesehen«, sagte er, einen Unterton von Besorgnis in der Stimme.
»Nicht?«
»Nein. Ich glaube, sie ist noch nie so lange am Stück nicht aufgetaucht.«
Etwas aus den Akten, die ich archiviert hatte, kitzelte mein Gedächtnis – irgendwas über vermisste Elementargeister in einigen Städten. Ich nahm mir vor, Raquel danach zu fragen, denn Lend konnte ich es ja wohl kaum erzählen.
Ich wollte, dass er weiterredete, und fragte: »Wie war das so, mit ihr als Mom aufzuwachsen?«
Er zuckte mit den Schultern, sodass mein Kopf auf seiner Brust ins Wackeln geriet. »Ich weiß nicht – ich habe ja keinen Vergleich. Ich schätze mal, dass mein Dad es ausgeglichen hat, so gut er konnte, und als Kind kannte ich es ja auch nicht anders. Er musste mich ziemlich isoliert halten, also dachte ich eben, dass die meisten Mütter manchmal da sind und manchmal nicht. Dass sie komisch reden und ihren Kindern Schwärme von tropischen Fischen schenken, die mitten in einem Teich in Virginia herumschwimmen.«
»Klingt nett.«
»War es auch. Ich liebe meine Mom. Eine Zeit lang war es schon hart, als mir klar wurde, dass wir niemals wirklich ein gemeinsames Leben führen würden, aber es ist so, wie es ist. Und ich weiß, dass sie mich auch liebt.«
»Wie sollte sie auch nicht?« Ein vertrauter Schmerz legte sich auf meine Brust. Selbst Lend mit seiner Wassergeist-Mom hatte wenigstens das: die Gewissheit, dass er geliebt wurde und dass das auch immer so gewesen war. Und es natürlich auch immer sein würde – schließlich würde er ewig leben, genau wie Cresseda.
»Fragst du dich manchmal, ob deine …«, begann er und brach die Frage dann ab, aber ich wusste, wie sie geendet hätte: Noch irgendwo da draußen sind. Ob meine Eltern (wenn ich denn überhaupt welche hatte) noch da waren und ihr normales Leben lebten. Ohne mich.
»Ich weiß nicht. Ich denke nicht so gern darüber nach. Was, wenn sie mich wirklich einfach im Stich gelassen und den Feen überlassen haben? Oder wenn ich tatsächlich erschaffen worden bin – wenn die Feen – ach, ich weiß auch nicht. Es bringt nichts, darüber nachzugrübeln.«
Er hob die Hand und strich mir übers Haar. Wir hatten uns schon vorher mal über meine Familienangelegenheiten unterhalten, aber wo lag darin eigentlich der Sinn? Antworten fand ich dadurch keine und die Fragen gefielen mir nicht. Ich hatte nie ein richtiges Zuhause gehabt oder eine Mom, die mir Fischschwärme mitbrachte, und das würde ich auch nie. Das war okay. Alles war okay.
»Es ist schon so lange her, dass wir mal Zeit für uns hatten«, sagte Lend nach ein paar Minuten des Schweigens. Seine wirkliche Stimme war wie eine Kaskade, warm und fließend und so unglaublich sexy, dass ich vollkommen glücklich damit gewesen wäre, mein Leben lang nichts anderes mehr zu hören. Ich ließ zu, dass sie mich durchströmte, die Anspannung in meinen Schultern löste. Alles andere war nicht wichtig. Nur das hier war wichtig.
»Mmmhmm.« Ich schloss die Augen und atmete seinen Duft ein. Eine kalte Windböe strich über uns hinweg und ich spürte, wie meine Haare sich daraufhin in die Luft erhoben, wie meine Gliedmaßen leichter wurden und sich gleichzeitig von meinem Körper lösten und sich stärker mit ihm verbanden. Es war, als antwortete mein Körper dem Wind.
Das war neu. Ich warf
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