Lebe statt zu funktionieren
Filter offen sein. Sie schließen sich jedoch in dem Moment, in dem Sie beginnen zu urteilen. Denn sobald Sie etwas für gut oder schlecht befinden, legen Sie sich fest, und Ihre Neugier hört auf.
Damit Ihre Filter offen bleiben, müssen Sie nur lernen, zu beobachten statt zu urteilen. In der Rolle des Beobachters können Sie nämlich viel mehr sehen und erkennen. Sie verschafft Ihnen Raum zum Nachdenken und Zeit, um zu überprüfen, ob das, was gerade abläuft, mit Ihren Erwartungen übereinstimmt. Dadurch gewinnen Sie Entscheidungshoheit: Es liegt jetzt an Ihnen, ob Sie in die alte Tretmühle einsteigen oder sich die Freiheit nehmen, etwas anderes zu machen.
Zugegeben: Die Grenze zwischen Beobachten und Urteilen ist ziemlich schmal – macht aber einen entscheidenden Unterschied aus in der Kommunikation (allgemein) und bei der Entwicklung Ihrer Intuition. Ein Beispiel: Manche Menschen scheinen Gedanken lesen zu können. Was sie aber tatsächlich tun, ist zu beobachten und aus ihrer Intuition heraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Während Sie dieses Buch in der Hand halten und darin lesen, bemerken Sie vielleicht, wie Sie sich über das Geschriebene Gedanken machen, wie in Ihrem Inneren eine Stimme laut wird, Ihnen sanft die Verbindungen zu Ihrem eigenen Leben aufzeigt und Sie so dabei unterstützt, neue Weg zu finden. Das ist gemeint: Beobachte statt zu urteilen!
Probieren Sie es bei Ihren Nächsten einfach mal aus: Beobachten Sie etwa Ihr Kind und Ihren Partner und versuchen Sie drei Dinge festzumachen, die den beiden in diesem Moment wichtig sein und gefallen könnten. Was könnte das sein? Folgen Sie einfach Ihrer inneren Stimme: Sie flüstert es Ihnen ein.
Die Spirale der Fremdbestimmung
Was Fremdbestimmung bedeutet, kann man bei Kindern und Jugendlichen sehr gut beobachten: Kleine Kinder möchten das gleiche Spielzeug haben wie ihre Spielkameraden. Es gibt kaum eine Frau unter dreißig, die als Kind nicht mit Barbiepuppen gespielt hat, und nahezu jeder Mann gleichen Alters ist als Junge der Faszination von Transformern (Auto und Monster in einem) erlegen. Diese Gleichheit der Bedürfnisse verschafft ein Gefühl von Zugehörigkeit. Noch als Jugendliche versuchen wir diese Zugehörigkeit herzustellen, indem wir die gleiche Kleidung tragen, die gleiche Sprache benutzen, die gleiche Haltung einnehmen und das gleiche Gedankengut pflegen wie unsere Freunde. Als Erwachsene tragen wir unsere Fremdbestimmung dann nicht mehr so offensichtlich zur Schau – meist jedenfalls. Anderenfalls würden wir sie sofort als solche identifizieren und wahrscheinlich gegensteuern.
Das Bedürfnis nach Anerkennung
Aber warum sind Menschen überhaupt fremdbestimmt? Ganz einfach: Weil sie geliebt, gesehen und anerkannt werden wollen. Und dafür wenden wir nicht selten unendlich viel Kraft auf. Das Problem ist, dass wir uns selbst dabei leicht aus den Augen verlieren. Wir vergessen, welche Bedürfnisse wir wirklich haben – und dadurch wird auch der Kontakt zu unseren Gefühlen verschüttet. Am Schluss befinden wir uns dann im ewigen Hamsterrad, in dem wir zwar funktionieren, aber nicht wir selbst sind.
Das passiert Ihnen doch nicht, denken Sie? Wie reagieren Sie, wenn im Küchenradio eine Schnulze gespielt wird, Sie lauthals mitsingen, aber bald bemerken, dass Ihre Familie sich über Sie lustig macht? Vielleicht singen Sie zuerst noch leise weiter, doch die anhaltend amüsierten Blicke werden dafür sorgen, dass Sie sich bald nur noch leicht im Rhythmus der Musik bewegen. Wird dann immer noch gestichelt, kann es sein, dass Sie das Radio sogar ausschalten und das Lied und Ihr Gefühl verdrängen – denn Sie wollen ja Anerkennung von Ihrer Familie, keine Missbilligung! Später werden Sie sich vielleicht dunkel daran erinnern, dass es da etwas gab, das Sie sehr berührt hat – aber die Melodie will Ihnen einfach nicht mehr einfallen.
Vor- und Nachteile der Anpassung
Im Laufe Ihrer Sozialisation haben Sie sich auf die eben beschriebene Weise Verhaltensweisen angeeignet, die mit denen Ihres sozialen Umfelds konform gingen. Der Vorteil: Sie funktionieren, Sie ecken nicht an, Sie kommen zurecht! Der Nachteil: Die Fremdbestimmung schafft Abhängigkeiten (man geht ins Fitnessstudio, man spricht nicht laut, man kleidet sich angemessen, man ist für den Partner da und so weiter) und führt zu Energieverlust.
Das derart angepasste Verhalten wird bestimmt durch systematische, unbewusste Strategien, die Sie in der Tretmühle gefangen
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