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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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los. Servus, Dali.«
    »Ciao, bis um fünf.«
    Die Bilder, die sich Maika aufdrängen, machen sie blind für die Scherben und den Dreck auf dem Hans-Albers-Platz. Ein halbes Jahr lang war sie heftigst in Keath verknallt. Verknallt im Sinne einer verdammt schweren, unheilbaren Krankheit, ohne Hoffnung
auf Gegenliebe. Sechs Monate lang war ihr nichts anderes wichtig. An allerletzter Stelle kam die scheiß Schule, und sie selbst stand auf dem letzten Platz der langen Schlange von in Keath verknallten Mädchen. Sie hat sich nichts anmerken lassen, aber sie hat ihr eigenes und andere Herzen brechen hören. Ein einziges Geknatter. Wo er aufkreuzt, geht ein unglaubliches Geschnatter los. Aber keine ist je bei ihm gelandet, nicht mal die Schönste. Gegenseitig haben sie sich damit getröstet, dass er nur auf schwarze Mädchen steht. Und jetzt Nora? Das ist hart! Sie breitet ihre ganze Weisheit und Lebenserfahrung vor Nora aus, tröstet sie und steht ihr bei, und die kleine Schlampe verliert keinen Ton darüber, dass sie und Keath …! Das Farbenspektakel, Blaulicht und alarmroter Krankenwagen, entspricht exakt ihrer Stimmung.
    Der Krankenwagen steht vor ihrem Wohnblock.
    Maika nimmt zwei Stufen auf einmal und jagt das Treppenhaus hoch. Im dritten Stock herrscht Hektik. Zwei Sanitäter heben eine Frau auf die Rolltrage. So viel kann Maika erkennen. Und auf dem Boden ist Blut.
    »Aus dem Weg! Platz da!« Der Sanitäter am Kopfende der Trage herrscht Hansen, den Hausmeister, an. Er steht im Weg rum.
    »Anja?«, keucht Maika.
    »Wer denn sonst?«, geifert Hansen. Anklagend richtet er seinen Finger auf Maika und stellt sie den Sanitätern vor. »Das Flittchen hier ist die Tochter von dem versoffenen Weib. Eine wie die andere.« Dann schnauzt er Maika an. »Wo kommst du her?«
    »Ich war spazieren«, antwortet Maika automatisch. Es ist ihr nicht bewusst, wie absurd das zu dieser frühen Stunde klingt. »Vor einer Stunde hat sie noch geschlafen. Was ist passiert?«
    »Was immer passiert, wenn du …«, Hansen betont höhnisch,
»… spazieren gehst. Sie ist besoffen die Treppe runtergesegelt und hat uns wach gebrüllt. Eine Irrenanstalt ist das hier.«
    Anja, ihre Mutter, ist nicht bei Bewusstsein.
    Sievers, die alte Frau Erdem, Hansens Frau und die drei Kinder von Mutlus stehen in Schlafklamotten am Geländer und glotzen verpennt herunter. Das ist Maikas Albtraum. Das Ganze gleicht einer Irrenanstalt wie nur irgendwas.
    »Kann ich mitkommen?«, fragt Maika die Sanitäter, die sich gerade in Bewegung setzen.
    »Können Sie. Wir fahren ins AK-Altona. Aber es würde mehr helfen, wenn Sie später kommen und die Sachen Ihrer Mutter mitbringen könnten.«
    Die Nachbarn gaffen sie an und stehen Spalier. Eine menschliche Regung verraten ihre Gesichter nicht, also konzentriert sich Maika auf die Kollektion an Hauslatschen an deren Füßen, als sie sich durchquetscht.
    Die Tür zur Wohnung steht offen und Maika geht verstört rein. Wieso ist die Tür auf? Hat Anja vergessen, sie zuzuziehen? Mechanisch packt Maika Toilettenzeug, Nachthemden, Bademantel und Wäsche in eine Sporttasche.
    »Mao!« Maika raschelt mit dem Trockenfutter und lauscht. Sie raschelt und lauscht noch einmal und noch einmal. Nichts.
    Jetzt ist Maikas Panik perfekt. Sie sucht überall, unter und in Schränken, überall. Mao hat noch nie die Wohnung verlassen, und jetzt ist er weg. Sie findet ihn weder auf dem Dachboden noch im Keller.
    Maika klingelt Hansen heraus. »Haben Sie Mao gesehen?«
    Der Hausmeister schnappt wütend nach Luft. »Deine Mutter, der Kater und du, ihr drei könnt mich mal …«
    Maika geht einen Schritt auf ihn zu und fixiert ihn. »Sie haben
sich doch garantiert nichts entgehen lassen und waren die ganze Zeit im Treppenhaus.« Langsam und deutlich, als ob er schwachsinnig wäre, fragt sie ihn noch einmal: »Haben Sie meinen Kater gesehen?« Sie kann es in seinen Augen lesen, dass er ihn nicht gesehen hat, und wartet nicht länger auf eine Antwort.
    Sie sucht Mao rund ums Haus, auf dem Parkplatz, auf der Straße, und als sie im 112er-Bus nach Altona sitzt, kann sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Solange sie denken kann, war Mao da. Er ist alt, fast so alt wie sie, und er war noch nie draußen. Wahrscheinlich hat er Todesangst. Und das hat sie auch. Sie stürzt ab, in grenzenlose Verlassenheit.
     
    »Wie war der Name?«
    »Anja Merten. Vor einer Stunde eingeliefert.«
    »Ist nicht auf meiner Liste. Gehen Sie zur Zentralen Notaufnahme«,

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