Leben bis zum Anschlag
das ’ne Entschuldigung war. Erzähl, aber erst wenn ich mir auch ’n Bier geholt hab.«
Vier Biere später ist Mehmet mit seinem Bericht zu Ende.
»Hammer. Die Rede über WIR von Nora ist der Hammer, das musst du zugeben. Die halte ich auch mal. Da kann man schlecht was gegen sagen.«
Stille.
Dali fixiert Mehmet. Das war nicht die Reaktion, die sein Freund von ihm erwartet hat, das ist ihm klar. »Mehmet, bei jedem UA -Auftritt von dir gibt es zehn Reihen der schönsten Augenpaare, die man im Abendland je erblicken kann. Sie alle stehen ganz vorne an der Bühne und sind auf dich gerichtet.« Pause. »Wir sind jung. Das Leben soll schön sein. Und das hier ist unser Leben, unser einziges Leben, also fixier dich nicht so auf Nora.«
Stille.
»Ich liebe sie. Schon immer. Meine Liebe hat nur ihren Namen.« Mehmets Stimme ist verhangen, die Botschaft aber umso klarer.
»Dann musst du da durch, Alter. Aber trampele nicht darauf herum und mach kaputt, dass für Nora und Keath Freundschaft deinen Namen trägt. Und die hält schon länger als die meisten Liebesbeziehungen, die ich kenne.«
Es ist die Nacht der verzweifelten Gespräche über Liebe und Freundschaft. Im Club zwischen Dali und Mehmet, zunehmend betrunken, und zwischen Nora und Keath, flüsternd am Telefon.
»Hast du Ärger gekriegt?«
»Sie hat ’n Zettel geschrieben. Weck mich, wenn du da bist. Mache mir Sorgen. Ich hab ihr auch einen aufs Kopfkissen gelegt: Bin da. Brauchst dir keine Sorgen machen. Sie knackt, tief und fest.«
»Ich vermiss dich jetzt schon so, dass es wehtut.«
»Oh. Wo?«
»In den Haarspitzen am dollsten.«
»Ich hab Schmerzen, wenn ich an die Stelle denke an deinem … Rat mal, wo?«
»Hm.« Keath summt den Refrain des alten Udo-Lindenberg-Songs:
»Sie wollen doch immer alle nur das eine, meine Hüften, meine Lippen, meine langen, langen Beine.«
Nora kichert. »Stimmt genau, trotzdem falsch. Rat weiter …«
So halten sie ihre Träume wach.
Nur Maika schläft und träumt in Farbe und klaren Bildern von dem, was ihr viel bedeutet: Ein kleiner nackter Junge wackelt im Morgenlicht auf sie zu und strahlt über das ganze Gesicht. In beiden Händen hat er mehr Geldscheine, als er halten kann. Sie segeln rechts und links von ihm zu Boden. Hinter ihm im Gebüsch steht eine große alte Ledertasche, eine Art Hebammentasche, voller Geld. Die nimmt sie und geht.
Maika schreckt auf, der Traum war überzeugend real. Sie zieht sich an und macht sich um 04:41 verpennt auf zum Park. Keine Menschenseele. Sie setzt sich auf die Bank und stiert in ihr Traumgebüsch. Nichts, außer Müll. Kopfschüttelnd kichert sie leise ins Morgengrauen und hört den Vögeln zu. Was für ein Frieden.
Auf dem Heimweg trifft sie Dali an der Ecke beim Kaffeetrinken in einem 24-Stunden-Imbiss.. Dali starrt mit geröteten Augen auf die Uhr überm Eingang zur S-Bahn Reeperbahn. Er stinkt nach Bier.
»Du siehst echt übel aus«, sagt Maika. »Du solltest duschen, bevor du deinen Alltagsverpflichtungen nachgehst.«
»Is das die Empfehlung einer Schulabbrecherin oder die meiner Agentin?«
»Die eine oder andere, je nachdem ob du meinen Kaffee zahlst oder nicht.«
Dali lächelt. »Maika, du bist unvergleichlich.«
»Du siehst aus, als hättest du das die ganze Nacht der Rosi aus Rosi’s Bar ins Dekolleté gelallt.«
»Hab aber stattdessen DJ-Çay Trost zugesprochen.«
»Und dem Bier. Das kann ich riechen.«
»Tee war keiner da.« Deshalb leert Dali gierig seinen Kaffee und holt sich und Maika zwei weitere Becher.
»Was hat Mehmet?«
»Herzschmerzen.«
»Darfst du ins Detail gehen oder ist das ’ne reine Männersache?« Maika ist neugierig, aber auch diskret. Was ihre eigenen Lebensumstände angeht und bei anderen auch.
Deshalb erzählt Dali, aber nur so viel: »Nora und Keath sind ein Paar.«
Das haut auch Maika aus den Latschen. Ui, sie spürt einen geradezu fiesen Schmerz im Herz. Aua! Nora und Keath? Ausgerechnet Nora? Ausgerechnet mit Keath?
Von dem Sturm in ihrem Innern kriegt Dali nichts mit. Niemand kann sich nach außen besser in Schach halten als Maika.
»Seit wann?«, fragt sie beiläufig.
Unterm Geheul des Martinshorns geht Dalis Antwort unter, als ein Krankenwagen um die Ecke rast.
»Keine Ahnung«, sagt er noch mal. »Auf ’m Heimweg vom Baden haben sie’s Mehmet gesagt.«
Maika verbrennt sich am Kaffee. Sie hustet, bis ihre Augen tränen. Der friedvolle Tagesbeginn zerbröckelt, und die Träume enden abrupt.
»Ich muss
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