Leben bis zum Anschlag
Maika.«
Maika ist da, aber nur körperlich. Geistig ist sie vollkommen abwesend. Na gut, denkt Nora und unterdrückt den Impuls, ihr zu erzählen, dass sie mit Keath zusammen ist. Gestern war Maika eine richtig gute Freundin, heute ist Nora Luft für sie. Egal. Maika würde selbst niemals rumrennen und vermelden, dass sie einen neuen Lover hat.
Unvorstellbar! Wieso fühle ich mich immer allen gegenüber so verdammt verpflichtet?, fragt sich Nora und klappert mit den Putzutensilien rum.
Maika sitzt auf der Bühne, baumelt mit den Beinen und starrt
vor sich hin. In unregelmäßigen Abständen haut sie die Hacken gegen die Bretter. Nora fegt links der Bühne und zuckt jedes Mal zusammen, bis sie beschließt, Maikas Verhalten nicht auf sich zu beziehen.
»Servus.«
»Hi, Dali, ich hab dich in der Lehranstalt vermisst.«
»Hab mir hitzefrei gegeben.«
»Fauler Sack.«
Er widerspricht nicht. Maikas Schweigen irritiert ihn.
»Is was?«, fragt er sie.
Sie schüttelt den Kopf und nimmt den Besen. Sehr konzentriert und absolut absorbiert beginnt sie, den Boden rechts neben der Bühne zu fegen.
Mehmet kommt, gefolgt von Keath. Der wechselt einen Blick mit Nora, analysiert blitzschnell die Stimmung und verzieht sich unabgesprochen mit ihr sofort auf die nach Geschlechtern getrennten Klos. Dort ziehen sich die beiden, ebenfalls nach Geschlechtern getrennt, die schlechte Luft rein und in manchen Klos die Wasserspülung ab. Der Gestank ist höllisch.
Unausgesprochen und bleischwer hängt das Thema »Nora & Keath« zwischen den anderen im Raum. Eine Unterhaltung kommt nicht in Gang, weil keiner was sagt. Bis Dali die Stille nicht mehr aushält.
»Leg was auf, DJ-Çay«, bettelt er.
Mit versteinerter Miene haut Mehmet in die Künstlergarderobe ab.
Maika wischt still und auf eine Art gründlich den Boden, wie man es von ihr nicht kennt.
Als nicht mehr steigerungsfähige Zitrusfrische durch den Lokus zieht, muss Nora erst mal raus an die frische Luft. Die ist
nicht frisch, sondern abgestanden und brühwarm, also geht sie wieder rein.
Bei mieser Stimmung und Hitze will niemand Mitglied der Destructive Pressure Putzgang sein. Putzen an sich ist nicht witzig. Und ohne musikalische Beschallung macht es keinem Schwein Spaß. Dali hat die Anlage in Gang gekriegt, aber kaum hat der erste Takt der Musik den Club zum Club gemacht, drischt Mehmet mit der Faust auf den Off-Knopf und es herrscht wieder bleierne Stille.
»Nach den Sommerferien geh ich zur Schule«, sagt Maika, als würde sie nur mal laut denken.
»Hammer«, sagt Nora baff. »Du weißt, wie man mit maximaler Durchschlagskraft eisernes Schweigen bricht.«
»Ich mach den Realschulabschluss nach, kein Scheiß.«
»Das is’n Klacks für deine geistigen Fähigkeiten. Und wenn du Hilfe brauchst, jederzeit und gern«, bietet Nora an.
»Ja. Schulstofflich bist du weiter«, erwidert Maika langsam.
Und Nora denkt: Was soll ’n das jetzt heißen?
Bis auf Mehmet stehen alle um die Bar rum, trinken Limo, während Nora die Theke abledert.
»In welchen Fächern hakts denn?«, will Dali wissen.
»Deutsch. Englisch …«
»Ah, die Sprachen also. Bayerisch kannst ah ned. Und dabei laberst alldieweil«, grinst er.
»… und Mathe, Physik, Chemie und die Lernfächer, Bio, Geo …«
»Die ganze Abteilung«, nickt Dali die Mängelliste ab. »Was hat dich bewogen, nicht mehr fürs Leben lernen zu wollen, sondern für die Schulanstalt?«
Das geht niemand was an. Schulanstalt gegen Irrenanstalt, denkt Maika und hat die Szene im Treppenhaus vor Augen. Ich
bin Schülerin klingt in den Ohren der Sozialfuzzis besser als Ich hab ’n Tresenjob. »Ich will Logopädin werden.«
Da hat Maika die volle Aufmerksamkeit von allen.
»Logopädin«, echot Dali dumm.
»Kannst du mir bei Englisch helfen?«, fragt Maika, zu Keath gewandt.
Nora zieht das Leder über die Spüle und kontrolliert ihr Spiegelbild. Sie ist noch da, ohne Zweifel, auch wenn Maika und Mehmet und jetzt auch Dali und Keath so tun, als ob ihre Existenz löchrig geworden und im Schwinden begriffen wäre, parallel zur enormen Anschwellung von Maikas Drüsengewebe. Ihre Titten quellen über, die Nähte ihrer Bluse krachen, die Augen hat sie zu Untertassengröße aufgerissen und bittend auf Keath gerichtet.
»Klar.«
»Super! Danke!«
Ich kotz gleich!, denkt Nora. Englisch für Fortgeschrittene. Ihre Wieauchimmer -Beziehung mit dem Chef hindert Maika nicht, zwanghaft mit jedem Kerl, vorneweg Keath, bei jeder sich
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