Leben im Käfig (German Edition)
Denn im Grunde lehnte nur ein einziger Mensch ihn ab und jeder andere in seinem Umfeld hatte sich auf seine Seite geschlagen. Andreas war schleierhaft, warum Sascha das nicht sehen konnte. Nicht spürte.
Aber war er nicht der falsche Mann, um sich über solcherlei Gedankengänge zu wundern? Er, der bei der kleinsten Belastung in Panik geriet? Der die Welt vor seiner Haustür für ein teuflisches Labyrinth tödlicher Gefahren hielt? Nein, er wunderte sich nicht. Er verurteilte nicht. Aber es schmerzte ihn, Sascha dermaßen entkräftet und bar seines erfrischenden Selbstwertgefühls zu sehen.
In Andreas keimte der Wunsch, groß und in jedem Wortsinn stark zu sein. Stark für Sascha. Stark genug, um in den nächsten Zug gen Süden zu steigen und einer dummen Frau bewusst zu machen, was sie gerade verlor. Wen sie aus ihrem Leben trieb.
Es ging ihm nicht darum, dass Sascha ihr Sohn war. Was die Einschätzung solcher Verbindungen anging, war Andreas zu sehr gebranntes Kind, wusste zu wenig darüber, wie ein harmonisches Familienleben auszusehen hatte.
Aber er wusste, was für ein Mensch Sascha war. Klug, freundlich, humorvoll, stark, voller Mitgefühl ohne ins Mitleid abzurutschen, ehrlich, bereit, Risiken einzugehen und Verantwortung zu tragen, einfühlsam, wissbegierig. Und natürlich tödlich sexy, aufregend und mit einem Äußeren gesegnet, das Andreas das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Allerdings zweifelte er daran, dass Karen Suhrkamp an diesem Teil der Aufzählung interessiert war. Zumindest nicht aus seinem Mund.
Sollte eine Mutter nicht bedingungslos stolz auf einen solchen Sohn sein? Egal, mit wem er ins Bett stieg? War es nicht der Traum aller Eltern, ein intelligentes Kind mit einer aufgeschlossenen Ader und Verständnis für seine Umwelt zu haben? Ein Sohn mit einem guten Herz, der Hilfe anbot, wo andere längst die Flucht ergriffen hatten?
„Was wird eigentlich jetzt aus deinen Sachen?“, fragte er, um nicht an den Punkt zu kommen, an dem er sich daran erinnerte, dass eine Reise nach Hessen zu den Suhrkamps für ihn nicht zu realisieren war.
„Alles in Ordnung damit“, antwortete Sascha seltsam leblos.
„Das heißt?“
„Mein Vater hat alles wieder eingeräumt. Er und Katja. Aber das heißt nichts. Sie müssten schon die Tür abschließen, um sicherzustellen, dass meine Mutter nicht bei erster Gelegenheit ihren Plan in die Tat umsetzt. Wenn Katja in der Schule ist und mein Vater auf der Arbeit ... keine Ahnung.“
„Du traust ihr das gerade zu, oder? Dass sie so weit geht?“
Ein Zucken lief durch Saschas Beine, als wäre ihm ein Eiswürfel in die Hose gerutscht. Krächzend wehrte er ab: „Ich weiß es nicht ... ich denke ... sie war echt wütend und so enttäuscht und ich weiß nicht mehr, was richtig ist ... lass es gut sein, ja?“
„Das hier ist richtig“, konnte Andreas sich nicht verkneifen zu sagen. „Das hier und das, was alle anderen denken. Deine Tante und ihre Kinder, ihr Mann, deine Freunde, dein Vater, deine Schwester, du und ich. Das ist richtig.“
„Du hast gut reden. Deine Eltern wissen ja von nichts“, schoss es unerwartet aus Sascha hervor. „Du warst ja klug genug, alles geheim zu halten.“
Überrascht holte Andreas Luft. Er wollte etwas sagen, sich zur Wehr setzen oder vielleicht auch zustimmen, da schlang Sascha ihm schon den Arm um den Hals und flüsterte: „Andreas ...“
Das war Entschuldigung genug. Niemand wusste besser als Andreas, wie sehr man um sich beißen konnte, wenn es einem schlecht ging und man sich verloren fühlte. Und daran, wie er reagieren würde, sollte er je den Mut haben, offen mit Sascha über seine Ängste, Sorgen und Hoffnungen zu sprechen, über den Schmerz, den er stets zu verschleiern suchte, wollte er gar nicht erst denken.
„Wir machen es uns schön“, flüsterte er und berührte dabei mit den Lippen Saschas Ohr. „Wir haben noch fast eine Woche bis meine Eltern wieder da sind. Bleib einfach bei mir. Alles andere findet sich.“
„Nein, tut es nicht“, presste Sascha unterdrückt hervor. „Denn während ich es mir bei dir bequem mache, sitzt Tanja in ihrem Schlafzimmer und heult, weil sich ihre eigene Schwester in ein Biest verwandelt hat und ihr die übelsten Vorwürfe macht.“
„Und Aiden ist bei ihr und tröstet sie“, erinnerte ihn Andreas. „Du hast doch selbst gesagt, er wäre toll. Er lässt sie damit bestimmt nicht allein. Und sicher schaut er sich auch nicht ewig an, dass deine Mutter alle drei
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