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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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er nicht seinem Instinkt gefolgt und bei Andreas geblieben war. Andreas, den er sehen wollte und gleichzeitig nicht sehen konnte, solange er sich fühlte, als stünde er neben sich selbst und würde von außen sein verkorkstes Leben betrachten.
    Es war eine Art Delirium, die Sascha bisher nicht kannte. Es war anstrengend und der Versuch, es beiseite zu schubsen, machte es noch anstrengender.
    Die Retourkutsche überrollte ihn gegen ein Uhr nachts, als er in seinem Bett lag und wusste, dass er unter keinen Umständen Schlaf finden würde. Dabei war er müde, wollte schlafen, um seinen Gedanken zu entfliehen, und doch war er wacher als vielleicht den ganzen Nachmittag zuvor, seitdem er nach Hause gegangen war.
    In Saschas linker Wade zog es schmerzhaft. Unruhig warf er sich im Bett herum, während er sich bemühte, das Gespräch mit seiner Mutter aus seinem Kopf zu pressen. Er wollte es sich nicht in Erinnerung rufen. Nein. Auf keinen Fall. Es tat zu weh. Es war zu endgültig gewesen. Zu brutal und zu gnadenlos.
    Ihm war heiß. Fieberte er? Nein. Er fühlte sich nur schrecklich mies. Sein Schädel war zu voll. Viel zu voll. Genauso hatte er sich gestern gefühlt, bevor ihm bei Andreas der Kragen geplatzt war. Und hinterher war es ihm besser gegangen. Weil er bei seinem Freund war. Weil er sich ihm anvertraut hatte. Konnte er diesen Weg erneut beschreiten? Nein. Nicht schon wieder. So schwach war er nicht. Es war nur ein Streit, kein Weltuntergang. Nichts, womit man andere Leute belasten musste, die wahrhaft schlimmere Sorgen hatten.
    Wie sehr er in diesem Augenblick in seinem Denken Andreas ähnelte, war Sascha nicht bewusst.
    Doch im Gegensatz zu seinem Freund war Sascha nicht in der Lage, seine Probleme so tief in sich zu verscharren, dass er sie vergessen konnte. Alle paar Minuten kehrten sie zurück, krochen wie Zombies aus ihren Gräbern und streckten ihre skelettierten Hände nach ihm aus, um ihn zu würgen.
    Gegen halb drei war er nass geschwitzt, überdreht und bereit, die Tür seines Kleiderschranks einzutreten. Gleichzeitig verlangte sein Körper nach Schlaf und wehrte sich mit rasenden Kopfschmerzen gegen den ständigen Stress. Das Handy geriet ganz von allein in seine Hand.
    Er erwachte erst aus seiner Trance, als eine vertraute, tiefe Stimme in sein Ohr drang: „Hey, du. Alles Klar?“
    Die Worte waren wie eine Berührung.
    Nein, gar nichts war klar. Saschas Kehlkopf war verkrampft. Um sprechen zu können, musste er husten. Dabei wusste er eh nicht, was er sagen sollte.
    Ich wollte deine Stimme hören? Ich vermisse dich? Ich bereue es, dass ich nicht geblieben bin? Kannst du mich in den Arm nehmen, mir geht’s beschissen?
    Am Ende sagte er schlicht: „Ich kann nicht schlafen.
    „Ist etwas passiert?“ Andreas klang weit entfernt und doch so zärtlich, dass sich eine Gänsehaut an Saschas Unterarmen bildete. Konnte man jemanden vermissen, von dem man sich erst vor wenigen Stunden getrennt hatte?
    „Ja.“ Und nein. Nichts Neues zumindest.“
    Sascha war es leid. Das Durcheinander, das ständige Auf und Ab seiner Gefühlswelt an diesem Tag kotzte ihn an. Von guter Laune zu Weltuntergangsstimmung, von dem Gefühl, dass er alles schaffen konnte zum Totalversager, von inniger Zuneigung zu dem Eindruck, vollkommen allein zu sein. Vom heulenden Waschweib zum strahlenden Helden und wieder zurück. Er brauchte Urlaub, verdammt.
    „Willst du erzählen?“
    „Nein.“
    „Verstehe. Willst du zu mir kommen?“
    Oh ja. Bitte. Etwas tief in Saschas Seele entspannte sich bei diesem Vorschlag. Genau das wollte er. Deswegen hatte er sogar angerufen, wenn er es sich genauer überlegte. Bei Andreas sein. Wenn sie zusammen waren, war alles leichter zu ertragen. Selbst ihre Schwierigkeiten untereinander klärten sich dann – logischerweise – am besten. Sascha nickte wild und dachte viel zu spät daran, dass Andreas ihn nicht sehen konnte. Noch nicht.
    Er krächzte heiser: „Ja.“
    „Dann komm. Ich warte auf dich.“
    In diesen wenigen Worten ruhte ein schlichter Zauber, der seine schützende Wirkung entfaltete, als Sascha sich nur wenige Minuten später in Andreas' Bett sinken ließ und das Licht um sie herum erlosch. Als er spürte, wie sein Freund ihn an sich heranzog und seinen Kopf auf seine Brust dirigierte. Als sie sich küssten und rekelten, bis sie bequem ineinander verkeilt lagen, sich überall spüren konnten.
    Saschas letzter bewusster Gedanke war, dass er Andreas erzählen wollte und würde, was

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