Leben im Käfig (German Edition)
vorgefallen war. Morgen.
Anschließend fiel es ihm leicht, einzuschlafen, was nicht zuletzt an den Fingern lag, die ihm sacht die Schmerzen aus dem Kopf kraulten.
Kapitel 40
„Ich kann dieser Logik nicht folgen.“
Oder er wollte es nicht. Andreas war gelinde gesagt schockiert.
Sie saßen zusammen auf dem Fußboden. Ein sachter Duft nach Zitrone und Seifenlauge schwebte in der ordentlich aufgeräumten Küche.
Andreas lehnte mit dem Rücken an der Spülmaschine, sodass er nur die Hand ausstrecken musste, um den mannshohen Kühlschrank zu öffnen. Es schien in diesen Tagen wichtig zu sein, die angeschlagenen Nerven seines Freundes mit erlesenen Köstlichkeiten zu balsamieren. Gut, dass Ivana in weiser Voraussicht genug Leckereien für zwei ausgehungerte Teenager eingekauft hatte.
Sascha saß schräg zwischen seinen Beinen und hatte den Kopf an Andreas' Schulter gelegt. Obwohl sie sich in dieser Nacht das Bett wie Bruder und Schwester – oder viel mehr wie Bruder und Bruder – geteilt hatten, wirkte Sascha übernächtigt und ungesund blass.
Andreas konnte das Unbehagen seines Freundes fast körperlich spüren und fühlte sich ein wenig schuldig, weil er ihr Beisammensein so sehr genoss. Weil er es genoss, für Sascha da sein zu können und das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass er eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Trösten, auffangen, da sein. Nur ein Arm, der Saschas Brust umfing und untergründig Schutz versprach, eine Hand, die ihm abwesend eine Winterfeldsche Orangen-Marzipan-Praline nach der anderen in den Mund schob und dabei flüchtig seine Lippen berührte.
In diesen Stunden wusste Andreas, dass er gebraucht wurde und das war trotz aller üblen Umstände eine erhebende Erfahrung. Geben dürfen. Bisher hatte niemand gewollt, was er zu geben bereit gewesen war. Und was man von ihm verlangt hatte, konnte er nicht anbieten. Sascha aber wollte seine Nähe, seine Streicheleinheiten, seine Brust zum Anlehnen, sein Schweigen, damit er sich seine Sorgen von der Seele reden konnte. Für Letzteres bewunderte Andreas ihn.
„Ich schon. Sie hat ja recht“, wisperte Sascha geschlagen.
„Womit hat sie recht?“, fragte Andreas misstrauisch. Unter der zärtlichen Fassade war er so zornig, dass es ihm die Kehle zuschnürte. Die Wut kam in Wellen, wechselte sich ab mit Empfindungen wie Mitgefühl und einer Zuneigung, die zu tief ging, um sie als solche zu bezeichnen.
„Mit allem. Damit, dass ich ihre Ehe zerstöre. Und dass ich einen schlechten Einfluss auf Katja habe. Meine Familie geht vor die Hunde und alles nur, weil ich ...“ Sascha versagte die Stimme.
„... weil du die unendliche Frechheit hast, schwul zu sein?“, beendete Andreas den Satz für ihn. Ein wenig grob griff er nach Saschas Kinn und zwang ihn, ihm die Augen zu sehen: „Es ist nicht deine Schuld, dass deine Mutter sich wie eine Hyäne aufführt. Und ihre Familie macht sie ganz allein kaputt. Dazu braucht sie dich doch gar nicht.“
„Irgendwie schon. Wenn ich normal wäre, wäre mein Vater nicht aus dem Schlafzimmer ausgezogen, würde meine Schwester nicht darüber nachdenken, ihren Rucksack zu packen und abzuhauen und meine Mutter würde ... Es würde ihr besser gehen. Sie hat recht. Ich bin der Stein des Anstoßes und das lässt sich nicht wegdiskutieren.“
Sascha ruckte mit dem Kopf und unterbrach den Augenkontakt.
Andreas spürte es hinter seiner Stirn heiß pulsieren: „Und wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gefangen. Was ist das denn für eine Logik? Da kannst du auch gleich sagen: Wäre ich ein Mädchen geworden, wäre das alles nicht passiert.“
„Da dürftest du vermutlich recht haben.“ Ein trauriges Lächeln legte sich bleiern um Saschas Mund. „Dann wäre es okay, andere Jungs zu küssen.“
„Entschuldige, aber da habe ich etwas gegen.“
Andreas senkte den Kopf und rieb seine Nase an Saschas Kieferlinie entlang. Seine Wimpern bewegten sich auf der blassen Wange, flatterten über sie hinweg wie eingesperrte Schmetterlinge.
Während er Saschas Hals küsste, als drohe seine Haut unter der Berührung seiner Lippen zu zerbrechen, griff er ihm zwischen die Beine, knetete behutsam die weiche Erhebung, um seinen Punkt zu verdeutlichen. „Ich will dich genauso haben, wie du bist.“
„Damit dürftest du ziemlich allein stehen“, raunte Sascha melancholisch.
Er wirkte klein, als er sich fester an seinen Freund drückte. Klein, verloren und objektiv betrachtet ungerecht.
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