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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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vorbeikam.
    Das Gerippe mit den grauen Gesichtszügen, das auf der Couch lag, konnte nicht seine Mutter sein. Ein dunkelroter Waschlappen hatte auf ihrer Stirn gelegen; zu farbintensiv gegen ihre durchscheinend wirkende Haut. Andreas' schlechtes Gewissen hatte jeglichen Gedanken an Schokolade aus seinem Kopf vertrieben.
    Mehrere Minuten lang war er unsicher über den Flur geschlichen und hatte sich an den frühen Morgen erinnert, als plötzlich die fremde Duftwolke über ihm schwebte. Schließlich hatte er sich ein Herz genommen und war zu seiner Mutter gegangen, hatte sie gefragt, wie es ihr ginge, ob er ihr einen Tee bringen solle.
    Ihre schlichte Antwort hatte gelautet: „Lass mich einfach in Ruhe, ja?“
    Andreas war bewusst gewesen, dass er ihren Wunsch nach Einsamkeit akzeptieren musste. Aber ihre Worte hatten ihm dennoch wehgetan.
    Warum stieß sie ihn weg? Was hatte er ihr getan? Außer, dass er nicht der Sohn war, den sie wollte und brauchte?
    Wie ein geprügelter Hund war er zurück ins Obergeschoss geschlichen und hatte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert.
    Ein kindliches Fragment seiner Seele hatte geschmollt und sich gedacht: „Du wirst schon sehen. Ich bleibe jetzt hier oben sitzen, bis du nach mir siehst und ein schlechtes Gewissen bekommst.“
    Aber er wusste, dass sie nicht kommen würde. Niemand würde kommen und sich nach ihm erkundigen oder sich wundern, wenn er nicht auftauchte. Manchmal glaubte Andreas, dass er sterben könnte, ohne dass es jemand wahrnahm. Man würde ihm erst finden, wenn es zu stinken begann.
    In der Nacht von Montag auf Dienstag hatten seine Eltern sich angeschrien.
    Erst im Wohnzimmer, dann oben im Arbeitszimmer und anschließend im Gästezimmer, wenn er sich nicht täuschte. Am Morgen danach hatte er versucht, seinen Vater abzufangen und herauszufinden, was los war. Nach ihren letzten Gesprächen hatte er darauf gebaut, dass Richard ihn auf den neuesten Stand bringen würde.
    Aber das unrasierte Nachtgespenst, das sein Vater war, hatte ihn nur gebeten, die Sache nicht komplizierter zu machen als nötig. Er müsse los. Margarete wäre allein in die Firma gerauscht, um eine wahnwitzige Entscheidung durchzudrücken, mit der er nicht einverstanden sei.
    Und Andreas hatte verständnisvoll genickt und eingesehen, dass es niemanden etwas nutzte, wenn er seinem Vater Löcher in den Bauch fragte.
    Den Nachmittag hatte er vor dem Computer verbracht und sich erfolgreich abgelenkt. Seine in diesen Tagen permanent kalten Finger fanden gerade ihre vertraute Flexibilität wieder, als es unten vor dem Haus Unheil verkündend rumste.
    Erschrocken sprang er auf und lief nach unten, nur um festzustellen, dass seine Mutter mit dem Jaguar Coupe einen Teil der niedrigen Begrenzungsmauer an der Garage mitgenommen hatte. Der Wagen hatte bösen Schaden davongetragen, aber Margarete ging es abgesehen von einem hysterischen Schreck gut.
    Letztendlich war nichts geschehen, was die Winterfelds finanziell oder anderweitig belasten konnte. Abgesehen vielleicht von der Peinlichkeit, dass die Nachbarn sich fragen würden, was mit der Mauer passiert war. Und es war ein wenig schade um den Jaguar, der mit ramponierter Nase in der Garage stand und darauf wartete, von der Werkstatt abgeholt zu werden.
    Andreas war ein Wrack gewesen, als er wieder in sein Zimmer schlich.
    Im Erdgeschoss tobte sein Vater, der angesichts der Unvernunft seiner Frau ganz grau um die Nase geworden war.
    Andreas zerbiss sich die Unterlippe. Er brauchte Sascha, um geerdet zu werden. Um seine Bodenhaftung wiederzufinden. Brauchte seine Präsenz, seine Stimme, die ihn auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte, seine Nähe, seine Zärtlichkeit, das Vergessen, das er anbot. Er steckte in der Klemme.
    Auf der einen Seite hatte Andreas sich an Silvester fest vorgenommen, in Zukunft seine Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
    Auf der anderen Seite hatte Sascha gesagt, er würde sich bei ihm melden. Dass er kaum Zeit hätte und dass er lernen müsse. Wer war Andreas, über diese Grenze hinwegzugehen? Er wollte Sascha nicht die Luft zum Atmen nehmen.
    In dieser Nacht hatte Andreas schreckliche Albträume durchlitten.
    Der Gedanke, dass seine Mutter weiterhin in diesem aufgelösten Zustand Auto fuhr, machte ihm panische Angst. Was immer ihr fehlte, es würde kaum besser werden, wenn sie einen Unfall hatte.
    Den gesamten Mittwoch war er um seinen Schreibtisch geschlichen und hatte auf Nachricht von Sascha gehofft. Aber er hatte sich nicht

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