Leben im Käfig (German Edition)
durchlitt, wenn er sich der Welt stellen musste, kaum der Rede wert. Zumindest in der Theorie.
Aufgeregt wie ein Kind am ersten Schultag stand er auf und streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus. Sascha wartete auf ihn.
* * *
Ganz so selbstsicher, wie Sascha sich gab, war er nicht, als Andreas ihn allein ließ. Einem Instinkt folgend war er wie ein Wirbelsturm über die Unsicherheiten des anderen hinweggegangen, hatte sich bei ihm eingeladen und keinen Widerspruch geduldet. Und hoffte im Geheimen, dass er damit keinen Fehler machte. Wenn seine Sinne ihn nicht trogen, hatte Andreas sich über seine Gesellschaft gefreut. Wer würde das auch nicht, wenn man so isoliert war? Höchstens ein Einsiedler und den Eindruck machte Andreas nicht.
Nachdenklich sah Sascha sich um. Er mochte das Zimmer. Es hatte Persönlichkeit, war für seine Begriffe gemütlich und hielt viele Beschäftigungsmöglichkeiten bereit. Wenn er jetzt noch wüsste, wo in der verschachtelten Villa Bad und Kühlschrank waren, könnte er sich glatt heimisch fühlen.
Er grinste. Sina und Fabian waren in Ordnung, aber sie sahen in ihm eine Art exotisches Haustier, um dessen Gunst sie stritten. Es war nicht schlecht, ihrer Eifersucht um seine Aufmerksamkeit eine Weile zu entgehen und sich mit einem Gleichaltrigen zu beschäftigen. Halbwegs gleichaltrig. Ein paar Jahre älter war Andreas mit Sicherheit. Oder auch nicht. Sascha wusste es nicht. Aber es war auch egal. Ab einem gewissen Alter war es nicht mehr interessant, ob ein Freund 19 oder 22 war.
* * *
Auf der anderen Seite der Zimmertür holte Andreas tief Luft. Fest an seinen Körper gepresst hielt er mehrere Flaschen, zwei Gläser und zwei Tafeln Schokolade. Blieb nur zu hoffen, dass er nichts fallen ließ, während er mit dem Ellbogen die Tür aufschob. Durchatmen. Wenn er alles richtig machte, war dieser Nachmittag vielleicht der Beginn einer echten Freundschaft. Ein großer Tag. Von seinen eigenen Gedanken unter Druck gesetzt verzog Andreas das Gesicht. Hohe Erwartungen führten sicher nicht dazu, dass er sich entspannte. Augen zu und durch.
Vorsichtig balancierte er seine Last in sein Zimmer. Sascha lag immer noch bequem auf dem Bett und hatte inzwischen seine Schuhe ausgezogen. Er richtete sich auf die Ellenbogen auf, als Andreas hereinkam: „Für uns und welche Armee ist das alles?“
„Ich wusste nicht, was du trinken willst“, lächelte Andreas schüchtern. Als er Cola, Fanta, Säfte sowie Schokolade auf dem Teppich vor dem Bett postierte, fiel ihm auf, wie ungünstig sein Zimmer aufgebaut war. Für Besuch war es nicht vorgesehen. Er hatte nie etwas vermisst, aber jetzt wären ein Sofa und ein passender Tisch nicht schlecht gewesen.
„Ich hätte auch Wasser genommen“, bekräftigte Sascha und angelte sich ein Glas. Aus den Augenwinkeln sah Andreas dabei zu, wie er sich streckte, und wollte verzweifelt mit der Hand die Linie seines Oberkörpers nachzeichnen. Wie konnte ein einzelner Mensch so gut aussehen? Das erfüllte schon fast den Tatbestand der Unverschämtheit.
Andreas nahm sich nichts zu trinken. Seine Hände bebten und er wollte nicht, dass Sascha es sah. Und weil er sich selbst nicht traute und nicht aufdringlich erscheinen wollte, nahm er auf seinem Schreibtischstuhl Platz, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme, damit er sich an sich selbst festhalten konnte.
Wäre diese Szene Teil eines Films gewesen, hätte er über den Protagonisten gelacht oder zumindest den Kopf geschüttelt. Es war lächerlich, aber er wusste nicht, wo er hinsehen sollte; hatte Angst, dass Sascha bemerken würde, wie sehr ihn sein Anblick in seinen vier Wänden aufregte. Er wollte ihn nicht anstarren, konnte aber schlecht dauernd in eine andere Richtung gucken.
Glücklicherweise erwies sich sein Gast als entspannter. Gelassen bediente sich Sascha an der Schokolade und zog die Augenbrauen hoch, als er die aufwendige Verpackung betrachtete: „Daran muss ich mich noch gewöhnen.“
„Was meinst du?“ Ein Thema, Andrea war selig. Allerdings hoffte er, dass Sascha sich die Schokolade auf unspektakuläre Weise in den Mund steckte und nicht auf die Idee kam, daran zu lutschen. Allein die Vorstellung schob ihm eine Gänsehaut auf seinem Rücken.
„Na, daran, dass hier alles immer so edel ist. Meine Tante kauft auch nur in den teuersten Läden ein und hat Zeug im Kühlschrank, von dem ich nicht einmal weiß, wie man es ausspricht.“ Sascha wedelte vielsagend mit der
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