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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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sich zu abgeschoben gefühlt.
    Jetzt wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Und eigentlich wollte er auch gar nicht denken. Er würde sich mit dem Thema auseinandersetzen, wenn ihm nicht mehr flau im Magen war.
    Auf der Rückfahrt schwiegen sie, aber es war keine unangenehme Stille. Das Thema war gegessen und für beide gab es keinen Grund, weiter darüber zu diskutieren. Dennoch war Sascha froh, dass Tanja ihm Freiraum ließ. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehr konzentrieren musste. Tanja fuhr dermaßen schlecht Auto und hatte so wenig Überblick über den Verkehr, dass es einem den Atem nahm.
    Als sie endlich den Stadtverkehr hinter sich gelassen hatten – Sascha hatte bereits drei Mal innerlich vor Schreck mitgebremst und praktisch das Bodenblech des Fußraums durchgetreten -, wandte sie sich ihm zu und fragte: „Was hast du heute noch vor? Irgendwelche Pläne?“
    Oh ja, die hatte er. Definitiv. Der Plan war über Nacht gereift und am Morgen zur Vollendung gekommen. Keine Ahnung, ob er sich richtig oder falsch verhielt, aber er würde Andreas auf den gemeinsamen Filmabend festnageln. Erstens war ihm langweilig, zweitens mochte er Andreas gern leiden und dritten gärten die Erkenntnisse vom Vortag in ihm wie faulendes Obst. Sascha hatte in den letzten Wochen einen Hauch Ahnung davon bekommen, was es hieß, allein zu sein. Was sein Nachbar durchlebte, war tausend Mal schlimmer und es widersprach Saschas Instinkt, Andreas in dieser Einsamkeit zu belassen. Jeder brauchte Freunde. Und auch Sascha brauchte jemanden an seiner Seite, wie noch nie zuvor in seinem Leben.
    „Ich gehe nach nebenan und besuche Andreas.“
    Tanja nickte und lächelte kaum merklich.
     
    * * *
     
    Andreas war ein Idiot. Nicht, dass er das nicht schon vorher gewusst hätte, aber an diesem Tag wurde es ihm deutlicher denn ja. Da verfiel er zu nachtschlafender Zeit in einen Putzrausch, gab sich Mühe, sich selbst und sein Heiligtum aufs Feinste herzurichten und wofür?
    Für die vage Hoffnung, dass Sascha vorbei kam, den geliehenen Film zurückbrachte, den nächsten mitnahm und wieder ging; spätestens dann, wenn Andreas etwas Dummes tat oder sagte. Sein Verstand sagte ihm, dass seinem Verhalten jede Verhältnismäßigkeit fehlte. Sein Bauch hoffte.
    Ändern konnte er es nicht. Er saß trotzdem mit einem Buch auf den Knien auf der Fensterbank und schielte beschämt nach draußen zum Haus der Holmes. Seit einer Stunde las er dasselbe Kapitel, weil er ständig von vorne anfangen musste, schweiften seine Gedanken doch immer wieder ab. Wann war er so unsicher geworden? Wann hatte er die Fähigkeit verloren, normal mit anderen Menschen umzugehen? Hatte er diese Gabe je besessen? Oder war es das Fehlen jeglicher Gelassenheit gegenüber Fremden, die ihn letztendlich an das Haus fesselte?
    Andreas wand sich unbehaglich angesichts seiner eigenen Gedanken. Normalerweise ließ er Überlegungen dieser Art nicht zu. Sie berührten Bereiche, denen er sich nicht nähern wollte. Es war schlimm genug, dass er im Grunde seines Herzens wusste, dass etwas Entscheidendes in ihm zerbrochen war; und zwar vor langer, langer Zeit. Er war längst    jenseits der Hoffnung auf eine Reparatur. Und Sascha würde es merken, sobald sie sich ein paar Mal gesehen hatten und ...
    Eine Bewegung auf dem Nachbargrundstück ließ Andreas aufblicken. Ein Wagen rollte in die Einfahrt. Obwohl sein Verstand ihm keinerlei Wunschträume gestatten wollte, stockte sein Atem aufgeregt. Er hatte keine Kontrolle über sein Herz, das zu einem Trommelwirbel ansetzte und plötzlich bis in seinen Hals hinauf zu spüren war. Seine Lippen kräuselten sich zu einem winzigen Lächeln, als Sascha aus dem Auto sprang und in Richtung seiner Tante gestikulierte. Andreas sah ihn mit ein paar Einkaufstüten ins Haus hechten und nicht viel später mit einem Gegenstand in der Hand wieder auftauchen, der die richtige Größe für eine DVD hatte.
    Sein Mund wurde trocken und sein Puls erreichte ungeahnte Höhen, sprang durch seine Blutbahnen wie ein gefangener Laubfrosch. Hoffen, fürchten, beten, wünschen verkamen zu einem ungeordneten Wollknäuel der Empfindungen, das in den Fängen der Raubkatze namens Instinkt Federn ließ. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Andreas, wie Sascha den Plattenweg zwischen den Häusern überwand und außer Sicht geriet. Er senkte den Kopf, wartete, rechnete mit nichts und hoffte auf alles.
    Und dann klingelte

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