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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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jetzt enttäuscht?“, drang es auf einmal dumpf aus dem Gewirr aus Armen und Beinen.
    Für eine Sekunde fragte Sascha sich, woher Andreas wusste, dass er es war und kein hilfsbereiter Passant. Aber diese Frage war in diesem Augenblick zweitrangig. Er fand keine Worte, war entsetzt. Enttäuscht? Nein, er war nicht enttäuscht. Zu Tode erschrocken, besorgt, hilflos ja, aber nicht enttäuscht. Wie kam Andreas darauf?
    „Tja, tut mir leid.“ Andreas sah auf, ein Sinnbild der Verzweiflung. „Dein Stecher ist halt kein richtiger Kerl, nur eine feige Maus. Haust du jetzt ab? Kannst du ruhig. Würde ich an deiner Stelle auch tun. Und besser jetzt als in ein paar Wochen auf die nette Tour.“
    „Was? ... Nein, du musst noch in die Klinik und überhaupt ...“, krächzte Sascha überfordert.
    Am liebsten hätte er sich geohrfeigt. Was ging hier vor? Was immer es war: Dass Andreas gerade kein Schritt in Richtung Krankenhaus gehen würde, war deutlich.
    Sein Freund warf den Kopf in den Nacken und stieß eine verkrüppelte Karikatur eines Lachens aus: „Vergiss es. Ich kann das nicht. Ich kann das wirklich nicht.“ Seine Stimme brach. „Ich habe gedacht, du wolltest mir helfen ... Aber ... ich kann ich nur ich sein. Eine Maus. Ein Feigling.“
    Gott, es tat weh. Mit jedem Herzschlag drang die Erkenntnis tiefer in Sascha ein. Sie sickerte in seine Zellen und vergiftete von dort aus jeden Tropfen Blut, der durch seine Adern floss. Er bereute seine unbedachten Worte bitter. Es war nur eine Redewendung. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie auf Andreas eine solche Wirkung haben würde. Dass er es sich zu Herzen nehmen würde. Saschas hatte ihn aufrichten wollen, motivieren, antreiben. Nicht zerstören.
    Dass Andreas aber dachte, er würde ihn jetzt allein lassen oder gehen, war am schlimmsten. Denn der bequeme Teenager in Sascha war wirklich der Meinung, dass es am leichtesten wäre, Andreas nach Hause zu fahren und danach den Kontakt zu ihm einschlafen zu lassen.
    Schnauze, du Arschloch, giftete Sascha sein inneres Ekel an.
    „Du bist kein Feigling“, sagte er laut. Es klang widerwärtig lahm und banal angesichts eines Menschen, der vor ein paar Minuten in heller Panik quer über einen Parkplatz geflüchtet war. „Ich“, Saschas Stimme wurde leiser, „will dir ja helfen. Sag mir doch, was ich tun kann.“
    „Ich weiß es selbst nicht. Ich möchte nach Hause“, stöhnte Andreas und schlang die Arme um seinen bebenden Oberkörper. „Zwing mich nicht ... bitte nicht ...“
    Automatisch schüttelte Sascha den Kopf. Er konnte dieses Elend nicht länger mitansehen.
    In der Hoffnung, nicht wieder etwas Falsches zu tun, legte er seinem Freund den Arm um die Schulter und raunte ihm ins Ohr: „Mach ich nicht. Versprochen. Es ... es ist okay. Komm ... komm her.“
    Den Bruchteil einer Sekunde später fand er sich in einer eisernen Umarmung wieder. Andreas' Gesicht lag an seiner Schulter, seine Hände wühlten sich unter Saschas Jacke und schob sich hinten in seine Hosentaschen.
    „Alles gut ... das wird schon ... shhh... ganz ruhig“, hörte er sich murmeln, während Andreas krampfte.
    Oh Hilfe, wie sollte das weitergehen? Die Gewalt, mit welcher der Körper in seinen Armen erschüttert wurde, war beängstigend. Sascha begann sich zu fragen, ob eine psychische Krankheit wirklich solch verheerende Auswirkungen haben konnte. Was, wenn etwas anderes dahinter steckte? Was, wenn Andreas körperlich krank war und keiner sich darum kümmerte? Himmel, jetzt drehte er auch schon durch. Sascha legte eine Hand in Andreas' Nacken und rieb die verspannten Sehnen. Sacht, beruhigend, immer im gleichen Rhythmus.
    Lange Zeit blieben sie im Gras sitzen. Zwischendurch tastete Sascha nach seinem Handy. Sollte er Tanja anrufen, wenn es weiter Probleme gab? Aktuell war er nicht einmal sicher, ob er Andreas bis zum Auto schaffen konnte. Den Zahnarztbesuch stellte er hinten an. Für ihn war offensichtlich, dass sein Freund dazu heute nicht mehr in der Lage war. Und er hatte versprochen, ihn nicht zu zwingen. Umso überraschter war er, als Andreas sich plötzlich regte und zu ihm aufsah.
    Offen schaute er Sascha in die Augen, zeigte ihm ohne schützende Wälle die Dunkelheit in seiner Seele: „Du lässt mich nicht alleine, oder? Du bleibst die ganze Zeit bei mir?“
    „Ja. Ja natürlich.“
    „Dann lass uns jetzt gehen.“
    Sascha runzelte die Stirn: „Wohin?“
    „Zum Zahnarzt“, erwiderte Andreas schwach und stand auf.
    Verwirrt kam

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