Leben im Käfig (German Edition)
einen Kreislaufzusammenbruch erlitt? Jetzt? Hier? Mitten auf dem Parkplatz. Was, wenn er sich den Kopf auf dem harten Asphalt anschlug? Was, wenn er stürzte, das Bewusstsein verlor und ihn just in diesem Moment ein Auto erfasste? Hektisch sah Andreas sich um, während sein Mund lallte: „Ja, natürlich.“
„Wenn ich irgendetwas tun kann ...“, setzte Sascha noch einmal zum Sprechen an.
„Nein.“ Ihm war nicht zu helfen. Oder doch.
Halt mich fest. Pass auf mich auf. Nimm meine Hand. Bring mich hier weg. Schirm mich ab. Versprich mir, dass du mich nicht allein lässt. Mach mir Mut. Sag mir, dass ich es schaffen kann. Gib mir etwas, woran ich mich festhalten kann, schrie Andreas Sascha innerlich an. Renn mit mir und lieb mich immer noch, wenn ich versage.
Das Risiko war zu groß. Schon zu oft war er den Erwartungen anderer nicht gerecht geworden. Zu oft hatte er enttäuscht. Dieses eine Mal musste er stark sein. Stark, damit er nicht alles verlor, was er hatte.
Und er hatte nur Sascha. Für seine Mutter war er eine Belastung, für seinen Vater ein Desaster. Nie konnte er gut genug sein. Niemand liebte ihn um seiner Selbst willen. Er wollte nicht in die Finsternis zurückkehren, in der er vor Sascha vor sich hinvegetiert hatte.
Aber dafür musste er sich beweisen. Warum erwarteten alle so viel von ihm? War er denn ohne Leistung nichts wert? Er wollte keine Maus sein. Er wollte Sascha zeigen, dass er kämpfen konnte. Niemand wollte mit einem Feigling zusammen sein.
Du kannst das, versuchte er sich selbst zu hypnotisieren. Da drüben ist der Eingang, du hast einen Termin, du schaffst das.
Seine Dämonen brüllten, als er sich bemühte, seine Angst in seine Seele zu sperren und hinter ihr die Türen zu verschließen. Es funktionierte.
Eine Minute, zwei Minuten. Sie waren fast am Eingang. Er spürte Saschas Präsenz an seiner Seite. Ein Pärchen kam ihnen entgegen, das ein geistig und körperlich behindertes Kind im Rollstuhl schob. Blicklose Augen glitten durch Andreas hindurch. Er sah sein Spiegelbild in der Reflexion der gläsernen Schiebetür. Der Zugang war eng, der Eingangsbereich voller Menschen. Fremder Menschen, die ihm nicht helfen würden, wenn ihm etwas Schreckliches passierte. Ihm wurde schlecht.
Sascha sprach ihn an, fragte ihn nach der Anmeldung. Schob sich vor ihm durch die Tür, aber Andreas konnte ihm nicht folgen. Ein taubes Gefühl erfasste seine Fingerspitzen und seine Ohren. Er wollte nicht sterben. Es gab nichts, was wichtiger sein konnte, als sein Überleben. Kein Stolz, kein menschlicher Verlust.
Seine Knie gaben nach und sein Magen mit ihnen. Er drehte sich um und rannte.
* * *
Nach dem schwierigen Einstieg hatte Sascha mit etwas anderem gerechnet. Er konnte nicht sagen, mit was, aber auf jeden Fall mit mehr Dramatik und mehr Widerstand. Dass Andreas sich so gut hielt, überraschte ihn positiv. Die Fahrt war hervorragend verlaufen. Schweigsam, aber sie waren angekommen, nicht wahr?
Das ungute Gefühl in seiner Magengegend schwand endgültig, als sie die Klinik erreichten und Andreas schnurstracks auf den Eingang zu marschierte.
Bis dahin hatte Sascha sich gefragt, ob er sich falsch verhalten hatte. Ob es nicht zu viel des Guten gewesen war, Andreas dermaßen Feuer unter dem Hintern zu machen. Aber anscheinend war es der richtige Weg gewesen. Sie waren hier, alles war gut. Jetzt mussten sie noch schnell die Behandlung hinter sich bringen und dann konnten sie wieder nach Hause fahren.
Sascha gähnte. Gott, war er müde. Er grinste in sich hinein. Sie waren ein tolles Paar. Beide Murmeltiere durch und durch.
„Okay, wo ist die Anmeldung?“, fragte Sascha.
Im Stillen dachte er, dass er verstehen konnte, warum Andreas ungern hierher kam. Krankenhäuser hatten etwas Steriles an sich, etwas Beängstigendes. Natürlich dienten sie den Menschen, halfen ihnen, heilten im besten Falle. Aber nicht allen konnte geholfen werden. Angesichts der Patienten, der langen Korridore und des in Weiß gekleideten Personals wünschte man sich instinktiv, nie ins Krankenhaus zu müssen. Zu deutlich wurde einem die Unzulänglichkeit des eigenen Körpers vorgeführt.
Aus den Augenwinkeln erfasste Sascha eine schnelle Bewegung. Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass er keine Antwort bekommen hatte. Als er herumwirbelte, sah er Andreas nur noch von hinten. Überrumpelt klappte Sascha der Mund auf.
Ein unsinniger Gedanke nach dem anderen kam ihm in den Sinn: H at er etwas vergessen?
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