Leben im Käfig (German Edition)
auseinander. Waren sich so fern. Aber er wollte nicht in Saschas Privatsphäre eindringen, mochte ihn nicht in seine Umarmung zwingen, wenn er das nicht wollte. Immerhin mussten sie sich beide daran gewöhnen, das Bett nicht für sich allein zu haben.
Die vielen widersprüchlichen Gedanken und Gefühle in seinem Inneren machten Andreas unruhig. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, fragte sich, was der nächste Morgen mit sich bringen würde.
„Andreas ...“, nuschelte es plötzlich von der anderen Seite der Matratze. „Ich kann dich bis hierhin denken hören. Hör damit auf.“
Schlaftrunken rollte Sascha sich zu ihm und legte sich halb auf ihn. Er brummte wie ein Bär, der in seinem Winterschlaf gestört worden war und schnupperte an Andreas' Schulter, schnurrte geradezu angesichts des herben Geruchs.
„Bist du in Ordnung?“, wagte Andreas zu fragen.
Er musste es wissen. Wollte hören, dass es Sascha gut ging und dass er ihm nicht böse war. Die Unsicherheit nervte ihn selbst, aber er konnte nichts dagegen tun.
„Hmmm ...“, kam es zurück. „Ich habe Hunger.“
„Hunger?“, echote Andreas ungläubig, bevor ihm bewusst wurde, dass Sascha nicht halb so wach war, wie er bisher angenommen hatte. Ein Gefühl tief gehender Zärtlichkeit übermannte ihn, als er seinen Freund umarmte und zurückflüsterte: „Du hast immer Hunger.“
Er bekam keine Antwort mehr. Brauchte er auch nicht.
Endlich konnte auch Andreas einschlafen, nach Sex riechend und mit Sascha auf ihm. Eng umschlungen und sich sicher fühlend. Den nächsten Morgen ungleich leichtherziger erwartend als noch vor wenigen Minuten.
Kapitel 39
Der Schlaf lässt sich mit dem Meer vergleichen.
Es gibt die seichte Brandung, in der man sich träge wälzen kann, ohne Schaden zu nehmen. Daneben existieren harmlos wirkende Strömungen und vom Unwetter aufgetürmte Wellenriesen, die einen atemlos und nass zurücklassen. Es gibt klare Gewässer, in denen man den mit Muscheln bedeckten Meeresboden unter den Füßen sieht. Es gibt schwarze Untiefen, die frei von Leben zu sein scheinen, bis einem eine merkwürdige Kreatur der Tiefsee entgegen wabert. Es gibt Gewässer, die von außen einladend und freundlich aussehen und unter ihrer Wasseroberfläche mörderische Schlingpflanzen oder Haie verbergen.
Aufwachen ist stets, als würde man ans Ufer kriechen. Die Frage ist nur, ob man mit Gewalt von einer tobenden See ausgespuckt und an die Klippen geworfen oder wie ein fauler Seehund sanft auf dem Strand abgelegt wird.
Sascha wurde an diesem Tag aus den stillen Tiefen der Korallenriffe ruckartig in die Wirklichkeit befördert. Im einen Moment glitt er noch durch wechselhafte Traumbilder ohne Zusammenhang, im nächsten saß er halb aufrecht im Bett und wusste nicht, wo er sich befand. Nicht daheim bei seinen Eltern, nicht in seinem neuen Zuhause bei Tanja und ihrer Familie, sondern ...
Richtig. Er ließ sich wieder in die Kissen sinken und spürte dem wunden Gefühl in seiner Kehrseite nach.
Andreas. Sie hatten sich ausgesprochen, zusammen geruht und in der Nacht ihr Glück in Sachen Sex versucht. Und jetzt?
Sascha streckte die Hand aus und fand rechts neben sich nur kalte Laken, hörte keinen Atem, kein unruhiges Schnauben, das dem Bemühen entsprang, leise zu sein.
Er war allein. Leider. Müde rieb Sascha sich über die Augen und versuchte sich zu sortieren, bevor er sich mit Andreas' Verschwinden auseinandersetzte. Versuchte sich dem Wirrwarr in seinem Inneren zu stellen und es vorsichtig zu entknoten. So viele Eindrücke auf einmal.
Auf der einen Seite atemberaubende Schmerzen und Dankbarkeit in Sachen Familie, auf der anderen Seite Verwirrung, Zärtlichkeit und eine Erfahrung, die alle anderen Ereignisse des Tages in den Schatten stellte. Oder vielleicht wünschte Sascha sich nur, dass es so war. Sex. Wild und heiß und ursprünglich und ehrlich. Dann ungewohnt erregend, nur um unangenehm zu werden. Verrückt.
Sascha konnte nicht behaupten, dass ihr erstes Mal einem Massaker gleichgekommen war. Er hatte gespürt, dass Andreas sich Mühe mit ihm gab. Gut zu ihm sein wollte. Der Druck beim Eindringen, die Erleichterung beim Rückzug, das Gefühl, einen Fremdkörper in sich zu haben und dringend zur Toilette zu müssen, war bis zu einem gewissen Punkt erträglich gewesen.
Nur am Ende tat es weh, als Andreas die Kontrolle verlor und unerwartet zu tief in ihn glitt, ihn spaltete. Mit einem lustvollen Erlebnis, mit einem
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