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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Schuld, Andreas. Aber du wolltest wissen, wie du helfen kannst.“
    Und er wollte helfen. Von Herzen gerne.
    Vielleicht war es an der Zeit, dass er den Wünschen seiner Mutter gerecht wurde, statt sich permanent in seinem Zimmer zu verkriechen. Wie, wusste er nicht. Aber er konnte es versuchen.
    „Ich tue, was ich kann“, versprach Andreas und stand auf. „Und ich fange damit an, dass ich zusehe, dass ich pünktlich im Unterricht bin.“ Als Richard ihm zunickte und viel Spaß wünschte, drehte er sich noch einmal zu seinem Vater um und sagte: „Ach übrigens, du brauchst ein frisches Hemd. Du hast dich beim Rasieren geschnitten.“
    Während Andreas seine Schulsachen aus seinem Zimmer holte, war er in Gedanken bei seiner armen Mutter. Es schmerzte ihn zu hören, dass es ihr schlecht ging.
    Egal, was sein Vater sagte, er fühlte sich schuldig. Seine Mutter hatte sich einen Sohn gewünscht, der an ihrer Seite arbeitete und ihr die Last von den Schultern nahm. Bekommen hatte sie ein schwächliches Weichei, das ihr das Leben schwer machte. Er schämte sich.
    Auf halbem Wege in die Bibliothek griff eine kalte Hand nach Andreas' Schläfe und drückte einen unsichtbaren Stachel in seinen Kopf. Dem scharfen Schmerz folgte ein Schwindelgefühl, das ihn dazu zwang, sich mit einer Hand an der Wand abzustützen. Schaudernd sog er gierig Luft in seine plötzlich leeren Lungen.
    Sehnsüchtig dachte er an sein Bett, wollte sich hinlegen, schlafen, Sascha anrufen. Wollte die Bibliothek nicht mehr betreten. Seinen wartenden Lehrer nicht sehen.
    Es war das erste Mal seit Wochen, dass Andreas im eigenen Haus Angst bekam. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wem oder was er diesen unerwarteten Schub zu verdanken hatte.
     
    * * *
     
    Zwei Stunden geschafft, noch zwei hinter sich zu bringen. Halbzeit. Der erste Schultag nach den Ferien und Sascha hatte bereits keine Lust mehr, was nicht zuletzt daran lag, dass seine Kurse ausgerechnet in die fünfte bis achte Unterrichtsstunde fielen und damit seinen Tag zerrissen.
    Als schlauer Kopf war er es seit früher Kindheit gewohnt, sich in der Schule zu langweilen, doch die letzten Wochen und Monate vor dem Abitur schienen eine besondere Qualität zu besitzen. Endlose Wiederholungen, schlaue Ermahnungen, aber im Grunde konnten sie nur jeder für sich versuchen, bis zu den Abiturklausuren auf einem guten Stand zu sein. Für ihn waren die Unterrichtsstunden in diesen Tagen Zeitverschwendung.
    Genervt lag er auf seinem Tisch, während seine Gedanken in weite Ferne schweiften.
    Zu einem Bericht über Flugzeugträger im Zweiten Weltkrieg, den er in der Nacht zuvor gesehen hatte, zu Andreas, von dem er sich abgetrennt fühlte, seitdem dessen Eltern wieder daheim waren. Zu Isa, die darauf bestand, am Wochenende mit ihm um die Häuser zu ziehen, zu Tanja, der er nicht genug für ihre Fürsorge danken konnte.
    Dann wieder zu den aktuellen Gerüchten ihres Jahrgangs, zu der Frage, ob er über die Feiertage zugenommen hatte, weil seine Lieblingshose kniff, zu Andreas, der ihn stets gerne aus selbiger Hose herausholte bis hin zu der Überlegung, ob man vor Langeweile sterben konnte.
    Sascha fühlte sich rastlos.
    Viel mehr als die Wiederholung der verschiedenen Interpretationsansätze von ... welchem Werk?? Egal ... interessierte ihn die Frage, was er nach dem Abitur anfangen wollte. Er wusste es nicht.
    Die Wehrpflicht war gekippt worden, sodass sein ursprünglicher Plan zu verweigern und Zivildienst zu machen, nicht mehr im Vordergrund stand. Andererseits wusste Sascha nicht, was er studieren wollte. Er hatte mehrere Optionen, aber er fühlte sich nicht bereit, eine Entscheidung zu fällen. Er musste zugeben, dass er vielleicht auch zu wenig darüber nachgedacht hatte.
    Ihm kam der Gedanke, sich mit Andreas über dieses Problem zu unterhalten. Brainstorming tat bekanntlich gut. Vielleicht wäre ja auch eine Lehre das Richtige für ihn? Oder noch besser erst einmal ein freiwilliges, soziales Jahr? Dumm nur, dass man sich um all dies eher hätte kümmern müssen. Viel eher. Aber wie sollte er Bewerbungen schreiben, wenn er nicht wusste, wohin?
    Das Einzige, was Sascha mit Sicherheit wusste, war, dass er in Hamburg bleiben wollte. Schon wieder ein Umzug? Nein danke.
    Was wohl seine Mutter dazu sagen würde? Sie hatte mehrfach angerufen, aber immer nur mit Tanja gesprochen. So lange, bis Aiden ein Machtwort gesprochen und sie gebeten hatte, nicht mehr anzurufen. Sascha war ihm dankbar dafür.

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