Leben im Käfig (German Edition)
nicht, dass er nicht nach Zweisamkeit suchte. Oder viel mehr danach hungerte, hatte es doch davon nur wenig in seinem Leben gegeben.
Sascha hatte diesen Wünschen innerhalb kürzester Zeit ein Gesicht gegeben; einen Körper, den man vor seinem inneren Auge neben sich liegen sah.
Tagsüber konnte man solche Fantasien halbwegs kontrollieren, aber in den leeren Stunden zwischen Dämmerung und Schlaf flüchteten sich die Gefühle an einen Ort, an dem sie sich wohler fühlten als in der Realität. Nachts schwanden die Einflüsse von außen und ließen nichts zurück außer den elementarsten Bedürfnissen.
Vage Visionen von Nähe und Zärtlichkeit boten Kraft für den nächsten Tag und die Möglichkeit, sich für eine kurze Weile gut zu fühlen. Das Zerbrechen der Illusion war entsprechend bitter.
Sascha stand auf Mädchen. Er hatte sogar sein Zuhause verlassen müssen, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort die falsche Person im Arm gehabt hatte.
Im Licht des Tages fand Andreas diese Anwandlung der Eltern seiner neuen Bekanntschaft überzogen. Wie alt mochte Sascha sein? 17, 18, vielleicht sogar älter. Da war es legitim, dass man eine Freundin hatte. Vielleicht waren die Eltern unmäßig streng oder gehörten einer sittsamen Religion an. Es ging ihn nichts an. Vorher nicht und jetzt erst recht nicht mehr.
Eifersüchtig war er dennoch. Da gab es in Nordhessen eine Fremde, die bekommen hatte, was er selbst brauchte. Fragte sich nur, warum von Sascha? Es war Andreas in der Vergangenheit immer leicht gefallen, seine nächtlichen Gedankenspiele auf Fremde zu konzentrieren. Was hatte dieser schmale Kerl von nebenan an sich, dass er so heftig auf dessen Heterosexualität reagierte?
Er ist echt , beantwortete sein Gewissen die Frage zaghaft. Er reagiert auf dich und redet mit dir. Und es ist so lange her ...
Aber es brachte nichts, deswegen Trübsal zu blasen. Man gewöhnte sich an einen gewissen Leidensdruck und die Einsamkeit. Und das war gut so, denn sonst hätte Andreas schon vor Jahren den Verstand verloren. Er konnte sich bestens mit sich selbst beschäftigen. Er brauchte keinen Einfluss von außen. Dumm nur, dass er sich gerade nicht mit Sascha auseinandersetzen wollte und der Weg online in sein Lieblingsspiel damit versperrt war. Noch ein Grund, im Bett liegen zu bleiben.
Es dauerte eine halbe Stunde bis Andreas bereit war, dem Ruf der Natur nachzugeben und kurz ins Badezimmer zu schleichen. Als er zurück in sein Zimmer kam, stand auf seinem Nachttisch ein Tablett mit Kaffee, Brötchen und edler Schweizer Schokolade.
Ivana hatte wieder einmal den richtigen Zeitpunkt abgepasst, um ihm etwas Gutes zu tun. Wo wäre er ohne ihre gutmütige Seele, ohne ihre Bereitschaft, ihn zu versorgen, wenn er nichts und niemanden sehen wollte?
Dankbar knabberte er an einem Brötchen, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihm Frühstück im Bett unter anderen Umständen lieber gewesen wäre. Bedauernd angelte er nach einem Bildband mit Fotografien von Inka-Kultstätten aus Südamerika und tauchte in die fremde Welt und Zeit ein.
Er sah erst wieder auf, als es sehr viel später verhalten an seiner Tür klopfte. Nicht begeistert von dem Gedanken an Gesellschaft verdrehte er die Augen. Konnten sie ihn nicht in Ruhe lassen? Wenigstens heute, wo er einen neuerlichen Tiefschlag zu verdauen hatte? Nein, natürlich nicht. Wenn seine Mutter tagsüber bei ihm aufkreuzte, hatte das immer einen Grund. Da war es besser, ihrem Drängen nachzugeben statt sie alle paar Minuten an seiner Tür kratzen zu lassen.
„Was denn?“, brummte er missmutig, aber laut genug, dass man es auf dem Flur hören konnte. Margarete kam herein, sah sich in aller Eile prüfend um und schien mit dem Zustand des Zimmers zufrieden, bis sie bemerkte, dass Andreas noch nicht angezogen war. „Geht es dir nicht gut?“ Sie näherte sich dem Bett und setzte sich vorsichtig auf die Kante.
„Können wir den Teil überspringen?“, gab er genervt zurück. „Das fragst du mich seit zehn Jahren und ich gebe dir seit zehn Jahren dieselbe Antwort.“
Seine Mutter seufzte fast unhörbar und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht: „Dann lass es mich anders formulieren. Geht es dir schlechter als sonst?“
„Nein.“ Sie brauchte nicht zu wissen, was in ihm vorging. Das würde nur zu Komplikationen und Fragen führen.
„Aber es ist fast drei Uhr und du liegst noch im Bett ...“
„Genau, es ist fast drei Uhr“, er knallte das Buch neben sich auf die
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