Leben im Käfig (German Edition)
nicht mehr bekommen. Mit dieser Gewissheit im Nacken fühlte auch sein Magen sich seltsam an.
* * *
„Hier geblieben, mein allerliebster Neffe. Antreten zum Appell.“
Sie hatten gerade gegessen. Saschas Magen war voll bis zum Anschlag und er fühlte sich wunderbar träge. Spaghetti Bolognese mochten keine Haute Cuisine sein, aber ihm schmeckte es.
Sina und Fabian auch, was der Grund war, warum die beiden auf ihr Zimmer geschickt worden waren, um sich umzuziehen. Sie hatten es nicht lassen können, die extra-langen Nudeln mit gespitzten Lippen in den Mund zu saugen und bei der Gelegenheit überall Tomatensoße verteilt.
Jetzt ist es also soweit, dachte Sascha bei sich, als er sich wieder auf seinen Platz setzte.
Tanja erweckte die Spülmaschine zum Leben – ihr liebstes Kind, wie sie selbst sagte – und wandte sich ihm zu. Bisher hatte seine Tante darauf verzichtet, ihn wegen seiner Mutter anzusprechen, doch er hatte geahnt, dass sie nicht ewig damit warten würde. Schicksalsergeben lehnte er sich mit dem Rücken gegen die gelb getünchte Wand der Küche und sah sie an.
„Ich dachte, ich lasse dir ein bisschen Zeit“, begann Tanja ohne große Umschweife. „Aber fassen wir mal zusammen. Vor drei Tagen bist du mit meiner herzigen Schwester aneinandergeraten, verschwunden und nach Mitternacht mit einer Fahne wiedergekommen. Das ist in Ordnung. Ich habe selbst hinterher mit Karen gesprochen und kann mir denken, was sie gesagt und getan hat. Darum geht es mir also nicht. Und zu der Nummer mit dem Rosengatter sage ich erst recht nichts. Katja ist durchaus in einem Alter, in dem sie das Gesetz der Schwerkraft versteht.“
Sascha zog die Augenbrauen hoch und zollte seiner Tante innerlich Respekt.
„Vor zwei Tagen“, fuhr Tanja mit ihrem Monolog fort, „hast du dich in deinem Zimmer verkrochen. Seitdem wird deine Laune stündlich schlechter. Du schleichst durch das Haus, stehst am Fenster und machst ein Gesicht, als würde jeden Moment die Welt untergehen. Und als ich gestern dachte, es könne nicht mehr schlimmer werden, wurde dein Schleichen zum Kriechen. Was ist los, Sascha? In zehn Tagen fängt die Schule wieder an und du verbarrikadierst dich im Haus. Du hast Ferien, Mensch.“
In die Defensive gedrängt verzog Sascha das Gesicht zu einer Grimasse: „Was soll ich sonst machen? Ich kenne hier doch niemanden.“ Das war ein Fehler; ein dummer Fehler, wie ihm sofort bewusst wurde.
„Niemanden außer Andreas nebenan, zu dem du dich geflüchtet hast, als du dich über deine Mutter geärgert hast. Mit dem du dir ordentlich einen hinter die Binde gegossen hast. Was ist los? Habt ihr euch in die Haare bekommen? Ich hatte das Gefühl, ihr versteht euch gut. Und jetzt lungerst du am Fenster und guckst nach drüben, als wüsstest du nicht, was du machen sollst.“ Sie zögerte kurz. „Sag mir nicht, dass du dich in den erstbesten Kerl in Hamburg verliebt hast.“
Sascha lachte bellend auf: „Schwachsinn. Natürlich nicht.“
„Wirklich nicht?“, bohrte seine Tante weiter nach.
„Nein. Ganz sicher nicht. Erstens habe ich mich noch nie verliebt und zweitens verknalle ich mich doch nicht in jeden Kerl, nur weil er zufällig ein Kerl ist. Oder hast du dich mit achtzehn in jeden Typ verliebt, der dir vor die Flinte kam?“
„Grob gesprochen, ja. Zumindest in jeden, der halbwegs nett und tageslichttauglich war“, gab Tanja lachend zu. Sie wurde jedoch schnell wieder ernst: „Mal zwischen uns beiden. Du hast dir seinetwegen viele Gedanken gemacht und dafür, dass ihr euch kaum kennt, viel Zeit mit ihm verbracht. Und auf einmal benimmst du dich seltsam. Da liegt doch der Verdacht nahe, dass etwas vorgefallen ist.“
„Ja, aber nichts in der Richtung“, rutschte es Sascha heraus.
„Sondern?“
„Du lässt nicht locker, bevor ich es dir erzählt habe, richtig?“
„Richtig.“
Mit der linken Hand rieb Sascha sich über die Stirn und bedeckte brummend seine Augen. Wie viel wollte er sagen? Wie würde Tanja reagieren?
Er hatte sich daneben benommen und er schämte sich dafür. Das war die eine Sache. Das andere große Thema war, ob es für Andreas in Ordnung war, wenn er dessen Geheimnis in die Welt posaunte. War es überhaupt ein Geheimnis? Vielleicht lag Sascha ja auch falsch mit seinen Vermutungen.
Er sah auf und blickte in das freundliche Gesicht seiner Tante. Einmal mehr erinnerte sie ihn eher an eine gute Freundin als an eine Erziehungsberechtigte oder gar Mutter. Fabian und Sina
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