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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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gefalteten Hände. Die Buchstaben auf seinem Monitor verschwammen vor seinen Augen. Ihm war zumute, als hätte er einen besonders gruseligen Film gesehen. Manchmal war nichts so schockierend wie die Realität.
    Er bezweifelte, dass er alle Aspekte der Krankheit durchschaut hatte. Außerdem war ihm sehr bewusst, was von medizinischen Ratschlägen im Internet zu halten war. Allein dem Wikipedia-Artikel wurde an mehreren Stellen – kompetenteren Stellen – vehement widersprochen. Vielleicht lag er sogar ganz daneben mit der Vermutung, dass es sich um Agoraphobie handelte. Aber irgendeine Panikstörung war es. Da war er sich sicher.
    Verdammt, darum ging es auch gar nicht. Die Frage war, was er mit seinem neu gewonnenen Wissen machte. Abgesehen von einem Mädchen in seinem Jahrgang, die laut Buschfunk magersüchtig gewesen war, hatte er nie mit psychischen Krankheiten zu tun gehabt. Er wusste überhaupt nicht, auf was er sich einließ.
    Er empfand aufrichtiges Mitleid für Andreas. So viel war sicher. Gleichzeitig platzte dessen Krankheit wie ein Meteor in Saschas eh schon leicht zerrüttete Welt hinein. Wollte er sich darauf einlassen? Auf einen Freund, der nicht ganz richtig im Kopf war? Der vielleicht bei der nächsten Begegnung eine Panikattacke bekam, wo Sascha doch keine Ahnung hatte, wie er sich dann verhalten musste? Er hatte wirklich Glück. Da traf er einen netten Menschen in Hamburg und ausgerechnet der war schwer krank.
    Nein, so etwas konnte Sascha nicht gebrauchen. Niemand konnte so etwas gebrauchen. Andreas erst recht nicht.
    „Verdammt“, wisperte er und schloss geschlagen die Augen.
    Sie hatten Spaß miteinander gehabt. Er fühlte sich wohl bei Andreas, wirklich wohl. Sie mochten sich, verstanden sich auf einer Ebene, die man mit Händen nicht greifen konnte. Sascha war sich sicher, dass Andreas ebenso empfand. Sonst hätte er sich nicht auf ihn eingelassen. Denn so viel war klar: Für Andreas war es stressig, neue Leute kennenzulernen und um sich zu haben.
    Das Problem war, dass Sascha beim besten Willen nicht wusste, was er machen sollte. In diesem Moment erschien ihm der einfachste Weg – so tun, als wären sie sich nie begegnet – sehr verlockend. Vielleicht hatten seine Eltern recht und er war wirklich ein schlechter Mensch. Ein schlechter Mensch und ein Feigling.
    Kapitel 15  
     
    Die Mäuse tanzten auf dem Dachboden Kasatschok. Wenn es still im Haus war, klang das Trommeln ihrer Pfoten und Schwänze auf den ausgetrockneten Sperrholzplatten durch fast alle Räume im ersten Stock.
    Angesichts des Krachs, den die Tierchen an diesem Abend veranstalteten, vermutete Andreas, dass die Mäuse inzwischen ausgezogen waren und gewaltigen Bisamratten das Feld überlassen hatten. Vielleicht kamen die knackenden Geräusche aber auch aus den schweren Stützbalken unter dem Dach, die vier oder fünf Mal so alt waren wie er.
    Als Kind hatten die unheimlichen Geräusche ihm schreckliche Angst gemacht. Die Mäuse-Theorie hatte seine Mutter ihm eines Nachts aufgetischt, nachdem er zum dritten Mal im elterlichen Schlafzimmer gestanden hatte; sein Kuscheltier unter dem Arm und zitternd vor Angst.
    Vor Mäusen musste man keine Angst haben. Mäuse waren klein, niedlich und hatten putzige Schnauzen mit lustigen Schnurrhaaren. Tanzende Mäuse waren ein guter Grund, wieder in sein eigenes Bett zu kriechen und sich in der Dunkelheit vorzustellen, wie die Nager über den Dachboden tobten. Fast wie in einem Disney-Film.
    Heute war Andreas erwachsen und störte sich nicht mehr daran, ob nun Mäuse, Ratten oder ausgewachsene Elefanten das Haus heimsuchten. Mittlerweile empfand er die Geräusche der alternden Villa als behaglich. Das Haus schien mit ihm zu atmen und ihn in Sicherheit zu wiegen, wenn seine Nerven zugrunde gerichtet waren. Für ihn war das Gebäude weniger ein unbelebter Gegenstand als viel mehr ein guter Geist, auf dessen Schutz man sich verlassen konnte.
    Er kannte jedes Seufzen und Stöhnen in den gepflegten, aber dennoch alten Fußböden. Er wusste, wie man die mittelalterlich anmutenden Fensterriegel zur Kooperation bewegte. Dass durch das gemauerte Kellerfundament von Zeit zu Zeit große Spinnen in seinen Fitness-Raum gelangten, störte ihn nicht. Die Villa passte auf ihn auf und ließ ihn nie im Stich.
    Schon früher waren die breiten Fensterbänke in seinem Zimmer Andreas' Lieblingsplatz neben dem Bett gewesen. In diesen Tagen fand er sich sehr oft eingequetscht zwischen den Wänden wieder; ein Knie

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