Leben im Käfig (German Edition)
waren verflixt glückliche Kinder. Für Sascha war es ungewöhnlich, dass jemand ihn so anpackte, dass er zum Reden kam. Oder vielleicht lag es auch nur an den Umständen. Vielleicht war es alles ein bisschen zu viel in der letzten Zeit, um es mit sich selbst auszumachen.
„Ich bin ein Arsch“, sagte er schließlich hart.
„Das wüsste ich aber“, entgegnete Tanja belustigt. Sie kam zum Tisch und setzte sich rittlings auf einen Stuhl. Ihr Kinn ruhte auf der Lehne, während sie geduldig wartete, dass er sich erklärte.
„Sicher? Ich habe Andreas nicht nur angelogen ... mittlerweile gleich zwei Mal ... sondern auch vermutlich herausgefunden, was mit ihm los ist. Und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.“
Augenblicklich war Tanjas Interesse geweckt: „Geht das ein bisschen genauer?“
Er erzählte es ihr. Angefangen bei den kleinen Merkwürdigkeiten, die ihm auffielen bis hin zu Andreas' Beichte, dass er Probleme mit Menschenmengen hatte. Und vor allen Dingen damit, das Haus zu verlassen. Das Ergebnis seiner Recherche schien seine Tante zu erschüttern, doch bevor sie etwas dazu sagte, fragte sie: „Und was war das mit der Lügerei?“
Sascha hatte diesen Teil absichtlich ausgelassen. Er kniff die Augen zusammen, bevor er gestand: „Als er mich gefragt hat, warum ich von daheim weg bin, habe ich ihm erzählt, meine Eltern hätten mich in flagranti erwischt.“
„So weit ich informiert bin, stimmt das doch auch.“
„Mit einem Mädchen.“
„Oh!“
“Ja, oh.“ Er raufte sich die Haare. „Ich dachte, ich könnte in Hamburg von Anfang an reinen Tisch machen. Meine Eltern wissen es jetzt, das halbe Dorf wusste es. Und dem ersten Menschen, den ich kennenlerne, sage ich nicht die Wahrheit, weil ich verdammt noch mal Schiss habe, dass er dann nichts mehr mit mir zu tun haben will. Und als ich erfahre, dass er einen Dachschaden hat, erzähle ich ihm irgendeinen Bockmist, dass ich krank wäre, um mich nicht mit ihm treffen zu müssen.“
„Warte mal, warte mal, warte mal“, fuchtelte Tanja mit den Händen. „Ich muss das erst einmal sortieren.“ Sie atmete tief durch. „Okay ... du hast nicht die Wahrheit gesagt. Fangen wir damit an, denn wenn du mich fragst, ist das das kleinste Problem. Du hattest Angst ihm zu sagen, weswegen du bei mir bist. Finde ich nicht so schlimm. Ist ja nicht so, als hättest du gerade lauter positive Erfahrungen mit dem Thema gemacht. Du kannst es ihm ein anderes Mal sagen, wenn du sicher bist, damit nicht auf die Nase zu fallen.“
„Aber ich wollte damit nicht wieder anfangen, verstehst du? Ich wollte von vornherein die Wahrheit sagen und mich nie wieder verstecken müssen.“
„Und bei jeder Begegnung als Erstes sagen: Hey, ich bin Sascha und ich bin schwul? Versteh mich nicht falsch, ich sage nicht, dass du deswegen lügen sollst. Aber ich würde mich auch nicht vorstellen mit: Hallo, ich heiße Tanja und liebe Männer . Kein Mensch erwartet von dir, dass du von null auf Hundert durchstartest.“
„Du verstehst das nicht. Das hat etwas damit zu tun, ob man zu sich steht oder nicht“, murrte Sascha. „Und abgesehen davon reißt es ja ein. Warum habe ich ihm gesagt, dass ich krank bin? Wie feige kann man sein?“
„Ach ja?“ Sie schnaubte. „Was wäre denn die Alternative gewesen? Ihm sagen, dass du herausgefunden hast, was ihm fehlt und jetzt so durcheinander bist, dass du ihn nicht sehen willst? Hey, so etwas nennt man eine Notlüge. Denn wenn du die Wahrheit gesagt hättest, hättest du ihm wahrscheinlich sehr weh getan. Das wäre auch nicht besser gewesen.“
„Lass Mama nicht hören, dass du mir gerade eintrichterst, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen soll“, spottete Sascha.
„Ja, meine liebe Schwester und ihre Liebe zur Geradlinigkeit“, verdrehte Tanja die Augen. „Ich sage ja nicht, dass du lügen sollst. Ich sage nur, dass es manchmal besser ist, die Klappe zu halten, bevor man Schaden anrichtet. Und ich wäre froh, wenn Karen diese Lektion bei Zeiten gelernt hätte. Was Andreas angeht ...“
„... das ist hart“, beendete Sascha den Satz für sie. „Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.“
„Nein, das meinte ich eigentlich nicht“, grübelte sie. „Ja, es ist hart, aber ich glaube, es ist nicht so schlimm, wie du denkst.“
„Ich glaube, es geht ihm ganz schön mies. Er kann nicht raus gehen“, warf er ein. „Das ist total schlimm, wenn du mich fragst.“
Sie lächelte traurig: „Das meinte
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