Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
Vom Netzwerk:
Zweifels huscht über ihr Gesicht. »Je schwerer etwas zu bekommen ist«, sagt sie unsicher, »desto befriedigender ist es, wenn man es schließlich findet. Kommt dir das bekannt vor?«
    Ich nicke. »Mr Oswald hat das gesagt. Als wir ihn das letzte Mal gesehen haben.«
    »Und, hatte er recht?«, fragt sie und nippt nervös an ihrer Limonade. »Ich wollte dir einfach ein Geschenk machen, das du nie vergisst. Hasst du mich jetzt?«
    Ich schaue auf den Schlüssel hinunter. Er fängt das Sonnenlicht ein und glitzert. Ich umklammere ihn. Wie wäre es gewesen, wenn ich schon vor einer Woche gewusst hätte, dass dieser Schlüssel existiert? »Mach das einfach nie wieder.«
    Sie malt mit dem Finger ein X über ihrem Herzen. »Bestimmt nicht. Versprochen. Mein Drang, Sachen zu klauen, ist verschwunden. Ich glaube, alles lief auf diese eine Sache raus.«
    »Gut. Übrigens, du hast Eiersalat zwischen den Zähnen.«
    Sie fährt sofort mit der Zunge darüber, bis ich Entwarnung gebe.
    Mom beginnt, die Abfälle einzusammeln. »Deine Grandma und ich könnten einen Spaziergang vertragen. Warum nimmst du dir nicht zusammen mit Lizzy ein Ruderboot und fährst damit zum großen Felsen?« Sie deutet zur Mitte des Sees. Von hier aus sieht er wie ein einziger großer Felsblock aus, aber
aus der Nähe betrachtet besteht er in Wirklichkeit aus einer Ansammlung von Felsbrocken. Dad hat mich einmal dorthin mitgenommen.
    »Klingt gut«, sage ich, esse den Rest meines Sandwichs und trinke meine Limo aus. Die Umrisse des Schlüssels haben sich inzwischen in meine Hand gegraben, so fest habe ich ihn umklammert. Ich wünschte, ich hätte die Kassette mitgenommen. Jetzt, wo ich alle Schlüssel habe, fühle ich, wie sie nach mir ruft.
    Lizzy überprüft ein letztes Mal ihre Zähne in der Metallhülle der Thermoskanne und steht auf. »Sollen wir das hier mitnehmen?« Sie greift in ihre Tasche und holt meine Kassette heraus, gefolgt von den anderen drei Schlüsseln.
    »Du hast mir versprochen, dass keine Überraschungen mehr kommen!«, sage ich, schnappe mir voller Freude die Kassette und drücke sie an meine Brust.
    »Das war die letzte, ich schwör’s!«
    Lizzy sucht das weniger gebrechliche der beiden am Kai festgemachten Ruderboote aus, was allerdings nicht viel besagt.
    »Irgendwelche Wetten drauf, ob wir absaufen?«, fragt sie.
    »Hmmm, ich würde sagen, fünfzig zu fünfzig. Aber auf dem Boden des Boots steht kein Wasser, also hat es zumindest kein Leck.«
    Ich halte das Boot fest, während Lizzy hineinklettert, dann löse ich das Tau vom Pfahl und klettere hinter ihr her. Sie hat mir den Sitz übrig gelassen, neben dem die Ruder platziert sind. Ich tauche ein Ruderblatt ins Wasser und das Boot gleitet mühelos vom Ufer weg. Wir reden nicht, bis wir ziemlich nahe bei den Felsen sind. Ich sehe immer nur die Kassette vor meinem inneren Auge. Groß ragt sie vor mir auf.

    »Hör mal, wie sollen wir mit diesem Ding anlegen?«, fragt Lizzy.
    »Ich glaube, mein Dad hat das Tau einfach um einen der kleineren Felsen gewickelt, so hat es gehalten. Du musst dich nach vorne beugen und versuchen, einen der Felsen zu fassen zu kriegen. Dann werfe ich dir das Tau zu.«
    »Das kann ja interessant werden«, brummelt Lizzy.
    Ich rudere heran, so dicht ich kann. Das Boot schlägt seitlich gegen die Felsen. Lizzy greift nach dem nächstliegenden Brocken und schafft es, sich lange genug daran festzuhalten, bis ich das Tau werfen kann. »Jetzt musst du rausklettern und das Tau halten, damit das Boot nicht abdriftet. Dann steige ich aus und binde es fest.«
    Lizzy murmelt irgendwas von durch die Strömung nach unten gezogen und gegen die Felsen geschmettert werden, aber sie schafft es ohne Probleme, auszusteigen. Eine Minute später habe ich das Boot vertäut und sitze zusammen mit ihr auf dem größten Felsbrocken. Ich deponiere die Tasche zwischen uns auf dem Handtuch und hole meine Kassette heraus. Meine Beine sind ausgestreckt, also lege ich die Kassette auf meine Oberschenkel. Nie hätte ich geglaubt, dass ich es so weit bringen würde! Lizzy hat die Augen geschlossen und hält ihren Kopf schräg nach oben der Sonne entgegen.
    Ich schaue übers Wasser und denke an all die Ereignisse, die mich hierher geführt haben. Was für ein bizarrer Weg ist das gewesen! Ohne diese Kassette wäre ich niemals U-Bahn oder Bus gefahren. Man hätte uns nicht beim Einbruch in ein Büro erwischt und zur Arbeit bei Mr Oswald eingeteilt. Ich wäre niemals in einer Luxuslimousine

Weitere Kostenlose Bücher