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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Stadt.«
    »Du will bloß nicht ohne einen Erwachsenen U-Bahn fahren«, sagt sie anklagend.
    Wie pflegt meine Mutter zu sagen: Jeder wird nach seinem eigenen Tempo groß. Ich verschränke trotzig die Arme vor der Brust und sage: »Du weißt genau, dass ich nicht alleine U-Bahn fahre.«
    »Du wärst ja gar nicht alleine.« Wenn Lizzy sich aufregt, erscheinen zwei rote Flecken auf ihren Wangen. Ich sehe, wie sie sich auf ihrem Gesicht ausbreiten. »Komm schon«, sagt sie. »Wir sind fast dreizehn. Es wird langsam Zeit, dass wir uns alleine durch die Stadt bewegen. Vielleicht hattest du bis jetzt keinen triftigen Grund dafür, aber welchen besseren Grund gibt es, als diese Kassette öffnen zu können?«
    Da hat sie nicht ganz unrecht. Widerstand ist offensichtlich zwecklos. »Okay«, sage ich ohne weitere Umschweife. »Wenn der Schlosser uns nicht helfen kann und wir zum Flohmarkt fahren müssen, bin ich dabei.«
    »Gut!«, sagt Lizzy.
    »Sofern meine Mutter damit einverstanden ist«, ergänze ich. »Nach dem, was gestern passiert ist, muss ich mich mit ihr gut stellen.«
    Lizzy rollt mit den Augen. »Na schön, meinetwegen – Hauptsache, wir legen jetzt einfach mal los.« Sie dreht den Papierbogen
um, sodass ich den letzten Punkt auf der Liste nicht lesen kann, und schnappt sich die Kassette.
    »Warte«, sage ich, als sie auf dem Weg zur Wohnungstür ist. »Willst du mir nicht verraten, was Plan F ist, falls es mit dem Schlosser und dem Flohmarkt nicht klappt?«
    Sie bleibt einen Moment lang stehen, dann schüttelt sie den Kopf. »Hoffen wir, dass du das nie herauszufinden brauchst.«
    Das klingt irgendwie nicht gut. Wir gehen kurz in meine Wohnung, damit ich meinen Rucksack holen kann. Während ich die Kassette hineinschiebe, nimmt Lizzy eine Handvoll U-Bahn-Münzen aus der Schüssel auf der Küchentheke.
    »Du kannst genauso gut jetzt deine Mutter anrufen, falls Larry uns nicht weiterhilft.«
    Ich protestiere, tue es aber trotzdem. Mom sagt, es ist in Ordnung, wenn wir mit der U-Bahn fahren, solange wir vorsichtig sind. Ist es schlimm, dass ich im Stillen gehofft hatte, sie würde Nein sagen?
    In all den knapp dreizehn Jahren, die ich zwei Straßen weiter gewohnt habe, bin ich nur einmal in Larrys Locks-and-Clocks -Laden gewesen. Als mein Vater unsere Großvateruhr gefunden hatte, war er ganz wild darauf, sie wieder zum Laufen zu bringen. Von ihrem früheren Platz im Sperrmüll irgendeines Unbekannten schleppte er sie schnurstracks in diesen Laden. Solange Dad noch lebte, drohte Mom ständig, sie würde die Uhr wieder lahmlegen, weil das Schlagen des Uhrwerks sie verrückt machte. Doch nach Dads Tod beklagte sie sich nicht mehr darüber.
    Die Inschrift auf dem Schaufenster besagt, dass das Geschäft samstags nur bis zwölf Uhr geöffnet hat, wir schaffen es also gerade noch rechtzeitig. Lizzy drückt die Tür auf und über
unseren Köpfen ertönen Glöckchen. Im Geschäft ist niemand. Regale voller Uhren in unterschiedlichen Stadien der Reparaturbedürftigkeit umgeben uns. Im Gegensatz zu meinem Dad wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass überhaupt noch irgendjemand Uhren reparieren lässt, anstatt neue zu kaufen. Ich schaue genauer hin und sehe auf den meisten Uhren eine dicke Staubschicht, als hätten die Leute sie vor zehn Jahren hiergelassen und sich nicht die Mühe gemacht, sie wieder abzuholen. Meine Nase juckt, deshalb ziehe ich mich schnell ein paar Schritte von dem Regal zurück, um nicht auf alles, was da steht, zu niesen. Wenn ich niese, dann heftig. Das liegt bei uns in der Familie. Im Kino hat Dad einmal mit so viel Schwung in den Rücken des Mannes geniest, der vor uns saß, dass der sich umgedreht und Dad sein Popcorn in den Schoß geworfen hat.
    Lizzy und ich treten an die schmale Ladentheke vor der rückwärtigen Wand. Dahinter hängen Schlüssel aller Art an Haken. Ein dünner Mann in einem Overall kommt aus dem Hinterzimmer spaziert und wischt sich die Hände an einer Serviette ab.
    »Was kann ich heute für euch tun?«, fragt er und schnipst eine zusammengeknüllte McDonald’s-Tüte von der Theke. Sie landet direkt im Papierkorb, der links neben ihm steht.
    »Sind Sie Larry?«, fragt Lizzy.
    Der Mann schüttelt den Kopf. »Larry junior.«
    Lizzy wirft mir einen Blick zu und ich zucke die Achseln. Ich wüsste nicht, weshalb es eine Rolle spielen soll, welcher Larry uns hilft. Sie dreht mich um die eigene Achse, zieht den Reißverschluss an meinem Rucksack auf und holt die Kassette

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