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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Die nächste Station liegt ein paar Häuserzeilen weiter, und ich ertappe mich dabei, wie ich hinter Lizzy hertrödle. Ich muss über eine Menge Dinge nachdenken, da kann niemand von mir verlangen, dass ich so schnell gehe. Sie wartet an der nächsten Straßenecke auf mich und wippt ungeduldig auf den Zehen auf und ab.
    »Ich habe eine Idee«, erkläre ich ihr und versuche, begeistert zu klingen. »Wir können doch ein paar private Flohmärkte hier in der Nachbarschaft abklappern.«
    »Du weißt, dass unser sicherster Tipp der offizielle Flohmarkt ist«, sagt sie bestimmt und setzt sich wieder in Bewegung. »Da haben wir garantiert weit größere Chancen als bei einem kleinen Garagenverkauf.«
    Ich weiß, dass sie recht hat. Der Flohmarkt in der 26th
Street in Chelsea ist der größte der Stadt. Meine Eltern und ich haben viele Wochenenden dort verbracht. Nach Dads Tod sind Mom und ich alleine hingegangen, aber es war nicht dasselbe. In den letzten ein, zwei Jahren sind wir überhaupt nicht mehr dort gewesen.
    »Woher weißt du, welche Linie wir nehmen müssen?«, frage ich, als wir uns ins schwülwarme Dunkel der U-Bahn-Station hinunterbewegen.
    »Direkt da vorn ist ein Übersichtsplan an der Wand.« Zwei ältere Jungs stehen davor und streiten sich, wie sie fahren müssen. Der eine wettet mit dem anderen, dass der es nicht schaffen wird, fünfzehn Hotdogs in weniger als fünf Minuten zu essen, falls sie in Coney Island ankommen.
    Ich flüstere Lizzy ins Ohr: »Ich habe mir mal siebenundzwanzig Fruchtgummi-Maiskörner auf einmal in den Mund gestopft und dann alle gegessen. Und dafür hab ich nicht mal eine Wette gebraucht.«
    »Das ist ja ekelhaft«, sagt sie und wippt neben den Jungs auf und ab, die sie aber ignorieren. Endlich gehen sie weiter und wir rücken dichter an den Übersichtsplan heran.
    Lizzy fährt mit dem Finger eine der U-Bahn-Linien nach. »So wie es aussieht, kommen wir mit der hier direkt bis zur Sixth Avenue, und dann müssen wir zu Fuß nur noch zwei Straßen weiter. Und außerdem sind es nur fünf Stationen, also stell dich nicht so an.«
    »Wenn es nur fünf Stationen sind, sollten wir vielleicht laufen«, schlage ich vor. »Das Geld sparen, verstehst du.«
    »Wir brauchen gar kein Geld«, sagt sie und gräbt in den Taschen ihrer Shorts. »Wir haben die U-Bahn-Münzen von deiner Mom, schon vergessen?«

    »U-Bahn-Münzen sind trotzdem Geld wert«, murmle ich vor mich hin, während sie mir mit Gewalt eine in die Hand schiebt.
    Wir nähern uns dem Drehkreuz und halten die Münzen bereit. Als wir aber da sind, findet keiner von uns eine Stelle, an der man sie einschieben könnte. Es ist schon ein paar Monate her, dass Mom mit mir U-Bahn gefahren ist, und vermutlich habe ich zu wenig aufgepasst, denn ich kann mich nicht erinnern, was wir tun müssen. Ich merke, wie mir jemand auf die Schulter tippt. Ein Mann, der eine Kappe und ein T-Shirt mit dem Abzeichen der Yankees trägt, zeigt auf ein Schild, dessen Aufschrift lautet: KEINE ANNAHME VON MÜNZEN MEHR, NUR METRO-KARTEN. Ich tippe Lizzy auf die Schulter, während sie gerade krampfhaft versucht, die Münze in alles zu schieben, was entfernt an eine Öffnung erinnert. Sie fährt herum und ich weise auf das Schild. Kleinlaut verlassen wir die Schlange und sehen zu, wie der Yankees-Fan seine Karte durch einen Schlitz zieht. Er passiert das Drehkreuz und dreht sich zu uns um, nachdem er auf der anderen Seite herausgekommen ist. »Kommt her«, sagt er und hält seine Karte hoch. »Ich kann das gute Karma brauchen. Die Yanks müssen heute gegen die Red Sox spielen.«
    »Danke!«, sagte ich und nehme die Karte aus seiner ausgestreckten Hand entgegen. Ich ziehe die Karte durch den Schlitz, gehe durchs Drehkreuz und gebe sie an Lizzy weiter. Nachdem auch Lizzy auf die andere Seite gewechselt ist, gibt sie dem Mann die Karte zurück und murmelt ein verlegenes Dankeschön. Lizzy gesteht nur sehr ungern ein, dass es etwas gibt, was sie nicht kann. Ich habe dieses Problem nicht. Ich weiß, dass ich sehr vieles nicht kann.

    Während wir einen weiten Bogen um ausgespuckte Kaugummis und unidentifizierbare Pfützen machen, sage ich zu Lizzy: »Ich wüsste gern, weshalb meine Mutter die U-Bahn-Münzen in der Küche aufgehoben hat, wenn man sie doch nicht mehr benutzen kann.«
    »Die Hälfte der Dinge in eurem Haushalt haben keinen Nutzen«, hält sie mir entgegen.
    Ich würde ehrlich gestanden sagen, es ist mehr als die Hälfte.
    Wir warten in sicherer Entfernung

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