Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
schlägt das linke Bein über das rechte. Hat das etwas zu bedeuten? Was soll das bedeuten, Mira? Er hält uns zum Narren. – Stopp. Wir waren vorbereitet, dass er nicht sprechen würde. Dass er mit niemandem spricht.
„Glauben Sie an die Terror-Variante? Dass das wirklich ein Anschlag der Al Kaida oder einer ähnlichen Terrororganisation gewesen sein könnte?“
Er scheint tief in Gedanken.
Ich probiere es ganz anders. Seine Assistentin hält Weis für einen Scharlatan. Vielleicht kann er ihn auch nicht leiden. „Weis, der Guru: Sie haben einander nach dem Bombenalarm angestarrt.“
Keine Reaktion. Meine Güte, hat der sich unter Kontrolle. Ich räuspere mich. Ganz schön schwer, immer weiterzureden, wenn einer nichts sagt. „Warum sind Sie so lange im Saal geblieben?“
Nichts.
„Wann werden Sie wieder reden?“, frage ich, der Verzweiflung nahe, und muss plötzlich lachen. Eine nahezu philosophische Frage. In dem Moment, in dem er antworten würde, hätte sich die Frage erledigt. Was ist das? Dialektik? Ich sollte mich in solchen Dingen besser auskennen. „Blöde Frage, ich weiß“, füge ich hinzu, und jetzt lächelt er ganz deutlich.
„Trotzdem“, sage ich weiter, „noch ein paar Fragen.“ Ich feuere sie jetzt einfach der Reihe nach ab: „Wie sind Sie rausgekommen? Kennen Sie den Bürgermeister? Werden Sie später etwas zu den Bombendrohungen sagen? Oder auf Ihrer Homepage veröffentlichen? Kennen Sie die blonde Frau in Weiß, die mit Ihnen am Tisch gesessen ist? Halten Sie Weis für einen Scharlatan? Ist Carmen wirklich die Tochter von Oskar, und was, wenn ja?“ Ich klopfe mir auf den Mund. Die letzte Frage ist mir einfach so herausgerutscht.
Zerwolf sieht mich interessiert an.
„Na ja“, sage ich lahm. „Da ist mir etwas Privates dazwischengeraten.“
„Ist sinnlos, mit ihm zu sprechen“, faucht Vesna. Sie kann mit dem Schweiger sichtlich schlechter umgehen als ich.
„Wenn Sie … irgendetwas sagen möchten … oder mir eine E-Mail schicken …“ Ich krame in meiner Tasche, fische eine Visitenkarte heraus und komme mir dumm vor. „Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ich hoffe … es geht Ihnen gut. War ja doch eine ziemliche Aufregung gestern Abend, oder?“ Bevor ich mich endgültig in ein Schlamassel rede, gehe ich zur Tür. „Also auf Wiedersehen. Hoffe ich. Und danke.“
Er steht auf und hebt die Hand. Oje. Jetzt kommt sie. Die segnende Geste. Aber er winkt nur ganz leicht. Dann setzt er sich wieder hin.
„Das ist alles nur Masche“, knurrt Vesna, nachdem sie die Tür geschlossen hat. „Der Typ weiß etwas. Der hat Grund, dass er nicht redet.“
Ich sehe mich nach der Assistentin um. Zum Glück scheint sie anderswo zu sein. „Vielleicht will er sich wirklich der allgemeinen Geschwätzigkeit entziehen“, murmle ich.
„Wenig reden ist gut, gar nicht reden ist verdächtig“, meint Vesna.
Was mache ich mit diesem einseitigen Interview? Ich kann doch nicht einfach die Fragen aneinanderreihen? Warum eigentlich nicht. Anstelle einer Antwort steht einfach immer nur „Zerwolf: “
Hinter dem Namen – eben nichts. Die Assistentin kommt mit einer Tasse aus einem Nebenraum. Offenbar gehört es auch zu ihren Aufgaben, für den Philosophen Tee oder Kaffee zu kochen.
„Ich werde die Fragen, die ich ihm gestellt habe, abdrucken“, sage ich zu ihr. Angelika nickt. „Kein Problem. Was Sie damit tun, ist ihm egal. Solange Sie keine Antworten erfinden. Es ist übrigens nicht so, dass er jeden in sein Arbeitszimmer lässt. Sie sind die Ersten seit Wochen.“
„Wovon lebt er eigentlich?“, will ich wissen. „Philosophische Bücher haben wahrscheinlich keine enorm hohe Auflage.“
„Zwei seiner Bücher sind in etliche Sprachen übersetzt, da kommt schon etwas zusammen. Er braucht nicht viel. Zu viel zu haben hindere nur am Denken.“
„Immer nur Wichtiges denken …“, murmle ich.
Seine Assistentin lächelt. „Er denkt wie jeder Mensch nicht nur Wichtiges. Und er isst auch. Er geht sogar joggen. Dabei braucht er ja nicht zu reden. Er ist kein klassischer Einsiedler, keine Ahnung, wer das aufgebracht hat.“
„Ab und zu er geht sogar auf Galas“, fügt Vesna hinzu.
In der Redaktion schreibe ich das seltsamste Interview meines Lebens. Sieht gar nicht schlecht aus. Lässt viel Raum für Fantasie und Interpretation, wenn der Platz für die Antworten auf meine Fragen leer bleibt. Morgen ist Redaktionsschluss. Verhofen habe ich eine E-Mail mit dem
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