Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
dem schweigenden Philosophen.
Vesna zuckt mit den Schultern. „Kann er sicher probieren.“
„Wie geht’s Valentin überhaupt? Ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen. Alles in Ordnung?“
„Ist viel unterwegs, aber ist alles in Ordnung. Nur: Er will dauernd heiraten. Ich finde, Menschen wie wir brauchen das nicht.“
Ich grinse. Vesna hat Valentin bei Recherchen rund um die Fernsehshow „MillionenKochen“ kennengelernt. Er hat das Format entwickelt und verkauft die Rechte in viele Länder. Er produziert die Show noch immer mit großem Erfolg. Zu Beginn hat sich Vesna Sorgen gemacht, ob das gut gehen kann: eine Putzfrau und ein erfolgreicher Produzent. Jetzt passt es ihr nicht, dass er sie heiraten will.
Vesna ruft Valentin an, er verspricht, gleich mit Zerwolf zu reden. Wie sein Studienfreund reagieren werde, sei freilich unklar. Als er ihn das letzte Mal angerufen habe, sei er zwar drangegangen, habe aber einfach nichts gesagt.
Valentin und Zerwolf haben gemeinsam studiert. Der eine Philosoph verstummt, der andere erfindet und produziert Fernsehshows. Da fällt mir ein: Auch ich hab etwas, mit dem ich Vesna überraschen kann.
„Oskar hat eine Tochter.“
Vesna bleibt abrupt stehen. „Seit wann?“, sagt sie dann.
„Seit 26 Jahren. Er sagt, er hat selbst nichts davon gewusst.“
„Und glaubst du ihm?“
Nach Droch fragt auch sie mich das. „Irgendwie schon.“
„Was will sie jetzt von Oskar?“
„Ich weiß es nicht, sie wollte wohl ihren leiblichen Vater kennenlernen.“
„Der Geld hat“, setzt Vesna hinzu.
„Das dürfte nicht das Thema sein. Ihre Mutter scheint in der Schweiz ziemlich gut zu leben, sagt Oskar.“
„Und was ist dann das Problem?“
Wenn ich das nur so genau wüsste. Mein Mobiltelefon läutet. Leo aus der Redaktion. Es gibt nur spärliche Informationen von der Polizei. Jedenfalls dürfte der Kleinverleger über den Berg sein. Ob sein rechtes Bein zu retten sei, stehe allerdings noch nicht fest. Beinahe totgetrampelt von einer Horde Literaten und ihren Freunden. Die Soubrette halte im Krankenhaus Hof, erzählt Leo unterdessen weiter. Ich habe nichts dagegen, dass jemand anderer vom „Magazin“ sie interviewt. Im unwahrscheinlichen Fall, dass gerade sie etwas Besonderes bemerkt hat, kann man mich ja verständigen.
Auch Vesnas Telefon läutet.
„Valentin hat Zerwolf eine E-Mail geschickt“, sagt sie wenig später. „Er meint, wir sollten einfach zu ihm fahren. Mit Antwort kann man nicht rechnen, nicht auf seine Mail und nicht auf unsere Fragen.“
Das Haus unweit der Mariahilfer Straße gehört zu den vielen, die zwar alt, aber dennoch nicht schön sind. Irgendwann zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut, hochgezogen, um der rasch wachsenden Stadtbevölkerung Unterkunft zu geben. Schmucklose graue Fassade. Das Schönste daran ist, dass es an einen großen quadratischen Park grenzt.
„Wenn so viele hören wollen, was er sagt, wenn er was sagt, dann hat er Wohnung gut gewählt“, sagt Vesna.
Es gibt tatsächlich ein Türschild mit „Zerwolf“. Ich drücke auf den Klingelknopf. Rechne nicht mit einer Antwort.
„Bei Zerwolf“, sagt eine Frauenstimme.
„Mira Valensky und Vesna Krajner. Valentin Freytag hat eine E-Mail geschickt, dass wir kommen.“
„Kein Problem, kommen Sie rauf.“
Das klingt nicht nach Einsiedler, auch nicht nach verstummtem Philosophen.
Kein Lift. Wir steigen die Stufen nach oben. War ich ja früher gewohnt. Jetzt keuche ich. Vesna atmet nicht einmal schneller. Ich sollte auch zu joggen beginnen. Wir lesen die Türschilder. Durchschnittsnamen an Wiener Durchschnittswohnungen. Da. „Zerwolf“. So als ob das sein richtiger Nachname wäre. Die Tür geht auf, noch bevor wir läuten können. Die junge Frau, die vor uns steht, muss uns durch den Türspion beobachtet haben. Oder war mein Keuchen gar so laut?
„Ich bin Angelika, seine Assistentin“, sagt sie und streckt uns die Hand entgegen. Pummelige Frau, Mitte zwanzig, wohl so alt wie Carmen, rote Locken. „Die E-Mail von Valentin Freytag ist angekommen. Sie können gerne mit Zerwolf reden. Nur, ich denke, Sie wissen ja: Er wird nicht antworten.“
„Warum eigentlich nicht?“, frage ich.
„Er hat irgendwann einmal festgestellt, dass zu viel gesprochen wird. Und dass das vom Denken abhält. Er findet, er hat schon genug geredet. Er hat die Konsequenz dort gezogen, wo er sie ziehen kann: bei sich selbst.“
Vesna schaut die junge Frau skeptisch an. „Vielleicht ihm
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