Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Strömungen auseinandersetzt? Hm. Ob man das schon am Titel erkennt? Dafür müsste ich mir die Bücher wohl erst ansehen. Ich lese gern, ich habe schon als Kind viel gelesen, doch in letzter Zeit schlafe ich beim Lesen andauernd ein. Ich bräuchte Urlaub. Einige Tage im Veneto. Oder gleich weiter weg. Mit zehn Büchern in die Karibik. Ich denke mit Sehnsucht an St. Jacobs zurück. Und was dort nicht so schön war, habe ich in der Zwischenzeit fast vergessen. Die Tote im Pool. Kommt zum Glück nicht auf jeder Reise vor.
Ich schneide die länglichen San-Marzano-Paradeiser in Scheiben, zu peinlich, erst Oskar hat mir beigebracht, wie sie wirklich heißen. Ich war viele Jahre der festen Überzeugung, sie heißen „pelati“. Mein Italienisch ist mehr als stümperhaft, und dass „pelati“ einfach „geschält“ bedeutet, darauf bin ich nicht gekommen. Vielleicht bin ich zu wenig gebildet, um mich mit einem Philosophen zu beschäftigen: wenn ich nicht einmal den Unterschied zwischen einer Tomatensorte und dem italienischen Ausdruck für „geschält“ kenne? Na ja, für den Guru reicht mein Hirn allemal. Etwas Olivenöl, viel Knoblauch in Scheiben, nur ganz kurz anwärmen. Bevor er bitter wird, die Paradeiserscheiben dazu. Ein paar Minuten kochen, zur Seite geben. Der Couscous und das frische Basilikum kommen erst dazu, bevor ich den Gang anrichte. Den Fisch teile ich in drei gleich große Stücke, dann schneide ich die Haut mit einem scharfen Messer alle halben Zentimeter ein, so zieht sich die Fischhaut beim Braten nicht zusammen. Ich zupfe ein paar Gräten, das meiste, was Filet genannt wird, hat dennoch irgendwo Gräten. Den Wels mit Zitronensaft beträufeln und wieder ab mit ihm in den Kühlschrank. Ich sehe auf die Uhr. Oskar wird gleich kommen. Und als wenn ich es gespürt hätte: Es läutet, der Schlüssel dreht sich im Schloss und Oskar ist da. Er kommt direkt in die Küche, küsst mich auf die Schläfe und meint: „Mhmmm, riecht das gut.“
Er verschwindet, aber ich habe die Papaya noch nicht einmal fertig geschält, ist er schon wieder da. Oskar hat das Hemd gegen ein blaues Polo getauscht, anders als sonst trägt er aber nicht seine alte, abgetragene Heim-Jeans, sondern hat die gerichtstaugliche Hose angelassen. Gar so vertraut ist er ja doch nicht mit Carmen. Vielleicht will er bei seiner erwachsenen Tochter auch Eindruck machen. Er holt einen Weinviertel DAC aus dem Kühlschrank und schenkt uns beiden ein. „Was wird das?“, fragt er und deutet auf die Papaya.
„Papaya mit Chilischokolade.“ Und erst wie ich es ausspreche, wird mir klar, dass ich gleich in zwei Gerichten Chili habe. Ein Test für Carmen?? Ach was, ich mag Chili, und Oskar mag es auch scharf. Außerdem habe ich gelesen, dass man von scharfen Gerichten weniger zunimmt. Angeblich verbrennt die Chilischärfe Kalorien, ich will es jedenfalls gerne glauben. Ich halbiere die Papaya, entkerne sie, schneide sie in zehn Spalten. Da die meisten der Papayas, die man bei uns bekommt, nicht reif genug sind, röste ich die Spalten kurz in etwas Butter und Öl an. Das hilft, das Aroma zu heben. Den Trick hat mir Manninger, gelobter Koch und guter Freund, beigebracht. Letztes Jahr in Moskau hat er noch viel mehr für mich getan … Ich nehme einen Schluck vom Weinviertel DAC und sehe, dass sich Oskar bereits das zweite Glas einschenkt. Es ist nicht zum ersten Mal, dass ich bemerke, wie schnell Oskar trinkt. Er ist groß und mit seinen etwas mehr als hundert Kilo verträgt er auch einiges, trotzdem: Er trinkt zu viel. Seine Art, mit Stress und Druck umzugehen? Macht ihm Carmen Stress? Oder bin ich es, die ihm Stress macht, weil er nicht einschätzen kann, wie ich auf sie reagiere?
„Wird sicher ein netter Abend“, sage ich, um ihn zu beruhigen. Er lächelt, nickt und nimmt noch einen großen Schluck. Ich lege die Papayaspalten auf große Teller. Dann zerteile ich achtzigprozentige Schokolade, gebe sie in einen Topf, etwas Kokosrum dazu, etwas Chilipulver. Nicht viel. Nicht zu viel. Ich will wirklich, dass es ein schöner Abend wird. Ich werde mit dem Gedanken umgehen lernen, dass Oskar eine attraktive, sechsundzwanzigjährige Tochter hat. Geschmolzen wird die Schokolade erst vor dem Anrichten.
Es wird tatsächlich ein netter Abend, jedenfalls ein recht netter. Oskar hat eindeutig mehr Stress mit der Situation als ich, und das gibt mir, ich muss es zugeben, Auftrieb. Carmen ist keine Vegetarierin. Ich hab im Allgemeinen auch nichts gegen
Weitere Kostenlose Bücher