Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Haupttext der Reportage geschickt. Ich habe darin den Wortlaut des Drohanrufes zitiert und auch geschrieben, dass der Anruf aus der Nähe des Rathauses gekommen ist. Kann gut sein, dass das ohnehin morgen schon in einer Tageszeitung steht, es gibt einige Kriminalreporter, die ziemlich gute Kontakte zu Polizeistellen haben. Wenn Verhofen nicht zustimmt, werde ich die Passagen rausnehmen. Hab ich ihm versprochen. Aber ich halte mir die Daumen, dass es nicht so sein wird. Sollte mich jemand fragen, woher ich die Infos habe, dann werde ich etwas von „Rathausumgebung“ murmeln, es gibt sicher zwei, drei Leute aus dem Umfeld des Bürgermeisters, die in die Ermittlungen einbezogen sind. Noch etwas fällt mir ein: Die Literaturpreise. Wer hat sie eigentlich bekommen? Darüber hat noch niemand geschrieben. Wann werden sie vergeben? Wo? Ich rufe beim Hauptverband des Buchhandels an, werde zweimal verbunden und die Geschäftsführerin wundert sich mit mir, dass bisher erst ein Journalist einer Literaturzeitschrift, die irgendwann nächsten Monat erscheinen wird, danach gefragt hat.
„Nicht einmal die Autoren?“
„Nicht einmal die“, antwortet sie. Und: Kein Problem, natürlich könne ich eine Liste der Preisträger haben. Man werde von einem zweiten Versuch, die Preise in festlichem Rahmen zu verleihen, absehen. Zu viel Aufregung, zu viele Sicherheitsvorschriften. Wie schade, dass der Abend so geendet sei.
„Sind Sie eigentlich in die Ermittlungen eingebunden?“, will ich wissen.
„Wir waren nur Mitveranstalter. Sie haben mich befragt. Das war’s. Und sie wollten die Listen mit den Preisträgern.“
„Eigentlich entgehen dem Hauptpreisträger eine Menge Publicity und Werbung, wenn ihm der Preis ohne öffentliches Trara überreicht wird“, überlege ich.
„Da ist schon was dran“, antwortet die Geschäftsführerin. „Aber ich hoffe, es geht keinem in erster Linie um Publicity, wenn er so einen Preis bekommt.“
„Glauben Sie?“
„Was weiß man schon? Auch unser Geschäft hat eine Menge mit Geld und Marktwirtschaft zu tun. Aber eben zum Glück nicht nur.“
Sie verspricht, mir die Liste in der nächsten Stunde zu mailen.
Was zuerst kommt, ist eine Rundmail des Chronikchefs. Er weist darauf hin, dass „der Aspekt des internationalen Terrors“ in der Story um die Bombendrohung „auf keinen Fall zu kurz kommen“ dürfe. „Ganz abgesehen von dem Fakt, dass er nirgendwo auszuschließen ist, sind wir unseren Lesern schuldig, das zu berichten, was sie in besonderem Maß interessiert.“ Lieben Dank auch, Herr Kollege. Ihm hat der Chefredakteur nur die Randaspekte der Story überlassen: Interview mit der Soubrette und so. Jetzt versucht er auf diesem Weg, Einfluss zu nehmen. Mächtig wird der Terror erst, wenn wir die Angst zulassen, hat Weis gesagt. Das ist Geschwätz, sicher. Terror gibt es und es ist klar, dass man sich fürchtet. Aber: Was ist mit jenen, die die Angst schüren um ihrer eigenen Interessen willen? Medien – weil Angst Auflage macht. Politiker – weil Angst viele zu denen treibt, die nach Law and Order rufen, nach mehr Polizei und Einschränkungen für alle, die auch nur ein bisschen anders sind. Sie machen den Terror mächtiger. Ich seufze. Alles eine Gratwanderung. Natürlich kommt in meiner Story die Überlegung vor, dass es sich um internationale Terroristen gehandelt haben könnte – aber eben nur als Möglichkeit. Ich kann es mir irgendwie nicht vorstellen. Ich überlege einen Gegenangriff via E-Mail, lasse es dann aber bleiben, zu viel Beachtung für den Chronikchef. Ich werde früher als geplant heimgehen und warten, was über Nacht passiert. Bis morgen Mittag habe ich Zeit. Wie wäre es, wenn ich wieder einmal für Oskar koche? Bin in letzter Zeit wenig dazu gekommen. Oder für Oskar und Carmen? Damit er sieht, dass ich kein Problem mit ihr habe? Vielleicht wäre das auch eine gute Möglichkeit, etwas mehr von ihr zu erfahren. Und darüber, was sie in Wien eigentlich will. Und wann sie wieder heim in die Schweiz fährt.
Ich überlege. Keine Ahnung, was die junge Schweizerin isst. Vielleicht ist sie Vegetarierin? Und wenn? Dann kriegt sie eben die Beilagen, und das Fleisch bleibt uns. Hm. Üblicherweise ist mir selbst gar nicht so nach viel Fleisch. Also Fisch. Und schnell muss es gehen, es ist schon später Nachmittag.
Ich wuchte zwei schwere Taschen aus dem Lift. Wenn ich schon einkaufen gehe, ist es gut, auch gleich die Grundvorräte aufzustocken. Ich sperre auf, Gismo
Weitere Kostenlose Bücher