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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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wenn es eine Falle ist? Türsummer. Natürlich hat er kein Wort gesagt. Er will, dass ich ihm alles erzähle, und dann kann ich wieder gehen. Er benutzt mich. Er ist klüger als Weis. Oder wirkt jemand dadurch intelligenter, dass er schweigt? Ich habe Vesna eine SMS geschickt. Für alle Fälle. Damit jemand weiß, wo ich bin. Ich steige die Treppen nach oben. Ich lasse mir Zeit. Ich bin müde. Zerwolf öffnet. Er sieht aus, als bräuchte er keinen Schlaf.
    „Ich schlafe nie vor drei, vier in der Früh“, sagt er.
    Ich starre ihn an.
    Er bittet mich mit einer Geste herein und lächelt. „Ich kann meine Regeln brechen, wenn ich es möchte.“
    Die nächste Stunde über hört er trotzdem in erster Linie zu. Er hält Weis für ausgesprochen „manipulativ“. Ich sehe ihn an. Manipulativ. Das habe ich selbst gedacht. Und ich frage mich, ob Zerwolf ihm nicht auch darin weit überlegen ist.
    „Sie halten ihn … für einen Scharlatan?“, frage ich nach.
    Er nimmt einen Schluck Rotwein. Der Wein ist übrigens ausgezeichnet. Ich kenne mich bei französischen Weinen nicht so gut aus, aber der da ist etwas Besonderes, das ist mir klar.
    „Scharlatan?“, wiederholt er. „Nein. Er betreibt das, was er tut, sehr professionell. Es dürfte nur so sein, dass seine … Jüngerinnen in ihm etwas anderes sehen, als er ist.“ Zerwolf setzt seine Worte sehr sorgfältig, er spricht langsam. Weil er aus der Übung ist? Weil er nicht mehr Worte als notwendig verwenden will?
    „Er hat Ihnen die Schweigemethode abgeschaut“, sage ich.
    Zerwolf lacht. Laut. Herzlich. „Das hat er wohl selbst verbreitet. Es ist der Versuch, öffentlich zu machen, dass wir etwas gemeinsam hätten. Ich habe nie so etwas wie Schweigetherapie gemacht. Ich bin Philosoph, kein Therapeut. Ich rede nicht über das Leben, ich denke darüber nach. Und hin und wieder höre ich jemandem zu. Allerdings ohne ihn heilen zu wollen.“
    „Ihre Assistentin sieht das etwas anders“, murmle ich.
    „Sie glaubt andauernd mich schützen zu müssen. Als ob Schweigen nicht ein sehr guter Schutz wäre.“
    „Haben Sie irgendeine Idee, wie das alles zusammenhängt? Die Bombendrohung. Weis. Das Verschwinden von Franziska Dasch, die ja auch auf der Gala war.“
    Zerwolf schüttelt den Kopf. „Nein. Ich habe keine Ahnung. Ich gebe zu, ich habe mir das Hirn zermartert, ob ich im Rathaussaal etwas Besonderes wahrgenommen habe. Aber da war nichts. Ich habe allerdings das Gefühl, dass alles miteinander zu tun hat.“
    „Warum waren Sie dort?“
    Er schweigt. Ich glaube schon, die falsche Frage gestellt zu haben, als er doch noch antwortet. „Ich bekomme viele Einladungen. So gut wie alle, die mich einladen, gehen davon aus, dass ich ohnehin nicht komme. Das stimmt auch. Aber an diesem Nachmittag hatte ich plötzlich die Idee, dass ich mir ansehen sollte, was aus dem Literaturbetrieb geworden ist. Und wo sieht man das besser als auf so einer Gala?“
    „Und was ist aus dem Literaturbetrieb geworden?“
    Er lächelt. „Er hat sich nicht verändert. Glauben Sie niemandem, der Ihnen sagt, es wäre früher nicht um Eitelkeiten und um Geld gegangen. Das, was ihn freilich ausmacht, ist das bisschen Mehr, das Darüberhinaus. Die Sehnsucht nach einer Idee über die Welt.“
    „Und das gibt es noch?“
    „Ich bin mir nicht sicher. Ich war mir auch früher nicht sicher. Aber ich glaube, schon.“
    „Und warum sind Sie nach dem Bombenalarm nicht mit den anderen geflohen?“
    Zerwolf sieht zu Boden. „Ich habe Angst vor zu vielen Menschen auf engem Raum.“
    „Und weniger Angst vor der Bombe?“, frage ich ungläubig.
    „Ja. Viel weniger. Angst ist nicht rational.“
    „Auch Weis ist stehen geblieben. Sie haben einander angestarrt.“
    Zerwolf schweigt. Er nimmt einen Schluck Wein. Ich sehe ihn an. Ihn zu bitten, dass er spricht, käme mir eigenartig vor. „Es ist nicht alles erklärbar“, sagt er dann. „Vielleicht schweige ich auch darum für gewöhnlich. Weil eigentlich nichts erklärbar ist. Wittgenstein hatte schon recht: ‚Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.‘“
    „Und wenn Sie in diesem Fall eine Erklärung versuchen?“, murmle ich.
    „Wären wir zwei Hunde oder zwei Wölfe, niemand würde sich wundern. Es war eine Aktion aus grauer Vorzeit, etwas, das über den Hirnstamm läuft. Wir sind übrig geblieben. Und wir mögen einander nicht.“ Er lächelt. „Nur dass wir eben keine Hunde oder Wölfe sind. Deswegen sind wir einander auch nicht

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