Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
stellt.“
Ich starre Droch an. „Ich wusste gar nicht, dass du so viel Fantasie hast“, sage ich und denke gleichzeitig: Ja, so könnte es allerdings auch gewesen sein.
[ 6. ]
Gegen Mittag komme ich heim. Eigentlich wollte ich endlich wieder einmal mit einem Buch in eine andere Welt eintauchen. Die Sonne scheint und es ist noch immer sehr warm für die Jahreszeit. Ich nehme mir einen Liegestuhl und freue mich auf Oskars wunderbarer Dachterrasse über die Wärme und das Licht und überlege, was ich lesen möchte, und bin schon eingeschlafen. Kann sein, dass ich zwischendurch aufgewacht bin, aber endgültig munter werde ich erst, als die Sonne weitergezogen ist und ich im Schatten liege. Halb fünf. Die ersten Exemplare des „Magazin“ werden wohl gerade ausgeliefert. Wer war es, der gedroht hat, das Rathaus und die Literatur zu sprengen? Ich glaube immer mehr an einen Verrückten, an einen, der meint, auch schreiben zu können, der aber von jedem Verlag abgewiesen wurde. Franziska Dasch ist untergetaucht, um ihrem Mann eins auszuwischen. Weis freut sich, in den Schlagzeilen zu sein. Sein Buch wird sich gut verkaufen. Zerwolf wird wieder schweigen.
Ich trabe in die Küche und überlege. Ich möchte Oskar mit irgendwas besonders Feinem überraschen. Carmen hat gesagt, dass sie überhaupt nicht kochen kann. Ein Minus, ein gewaltiges Minus bei Oskar. He, warum tue ich so, als stünde ich in Konkurrenz mit ihr? Sie ist die Tochter. Ich bin die Frau. Also. Eben.
Ich habe noch ein Glas mit Trüffelpüree da. Vermischt mit etwas Frischkäse auf Garnelen. Eine schräge Kombination, aber könnte passen. Große Garnelen mit Olivenöl unter den ganz heißen Grill im Backrohr geben, nach zwei Minuten herausnehmen, umdrehen, mit Frischkäse verrührtes Trüffelpüree darüber, noch einmal zwei Minuten unter den Grill. Ein Baguette zum Wärmen dazu in das Rohr. Essen fertig. Ich nehme Garnelen aus dem Tiefkühler und lege sie zum Antauen auf einen großen Teller. Mobiltelefon. Es läutet wie sehr weit entfernt. Dumpf. Tasche. Vorzimmer. Ich hab es in meiner Tasche gelassen. Und wenn es einfach dort bleibt? Man muss sich von diesen Dingern nicht terrorisieren lassen. Aber dann bin ich, wie immer, zu neugierig und renne doch ins Vorzimmer, falle beinahe über Gismo, die vor meiner Tasche sitzt und sie interessiert anglotzt, nehme das Gespräch an.
Weis. Er wünscht, dass ich ins Büro des Yom-Verlages komme. Sofort. Eigentlich ist es schon mehr ein Befehl. Er habe meine Reportage gelesen und wolle mit mir reden. Sieht so aus, als wäre er über die zusätzliche Publicity doch nicht so erfreut. Der Verlag ist im 2. Bezirk. Ich kann in spätestens einer halben Stunde dort sein. Wenn der Guru all seine Gelassenheit fahren lässt, kann ich vielleicht mehr herausfinden als bisher. Ich gebe den Teller mit den Garnelen in Oskars großen doppeltürigen Kühlschrank. Ohnehin besser, wenn sie langsam auftauen. Ich habe nicht vor, mich lange mit Weis aufzuhalten. Danach bleibt Zeit genug für mein Garnelenexperiment.
„Herr Weis wartet schon auf Sie“, flüstert die Verlagssekretärin und sieht mich neugierig an. Sie führt mich einen schmucklosen Gang entlang zu einer weißen Tür. Dahinter ein Besprechungszimmer, nicht mehr als zwanzig Quadratmeter groß, ein ovaler Tisch für acht Personen, weiße Plastiktischplatte, Schwingstühle mit schwarzer Ledersitzfläche. Einzig an den Wänden kann man erkennen, was hier für gewöhnlich besprochen wird. Buchumschläge des Yom-Verlags in Plakatgröße. „Lächle und lebe“: orangeroter Hintergrund und ein rosa geschminkter Mund. „Vertraue dem, was in dir ist“: lila Wolken und Regenbogen. „Der große Chakra-Ratgeber“: ausgestreckte Hände, als Hintergrund Spiralen in Rosa und Grün und Gelb und Blau. „Weis.heiten“: strahlend weißes Cover, darauf Weis mit ausgebreiteten Armen, lächelnd, samt glänzender Glatze. Wusste gar nicht, dass das Cover schon fertig ist. Sie haben den ersten Entwurf verändert. Keiner hat es der Mühe wert gefunden, mich darüber zu informieren. Ach was, kann mir egal sein. Jetzt erst nehme ich Weis wahr. Er steht am Fenster und starrt hinaus. Ohne sich umzudrehen, sagt er: „Sie haben mein Vertrauen missbraucht.“
„Ich habe Sie angerufen. Ich wollte ein Statement. Sie waren leider nicht erreichbar“, antworte ich so trocken wie möglich. „Außerdem hatte ich bislang eher den Eindruck, dass Sie gegen keine Form von Publicity etwas
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