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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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antisemitischen deutschen Filmen auf ihren Einsatz vorbereitet. Auch die normale Amsterdamer Ordnungspolizei, der die Deutschen längst misstrauen, muss nach Monaten der Abstinenz wieder ran und das Judenviertel um den Waterlooplein hermetisch abriegeln. Die anderen Polizisten durchsuchen das Viertel, Haus für Haus, Wohnung für Wohnung. Auch die Freiwillige Hilfspolizei der niederländischen Nazis ist wieder dabei und macht ihrem brutalen Ruf alle Ehre.
    Die aufgespürten Juden, zum Teil misshandelt, werden zum Waterlooplein geführt und anschließend in der Großen Synagoge registriert. Dort müssen auch die Wohnungsschlüssel abgeliefert werden; wenig später werden ihre Wohnungen »gepulst«, die Möbelwagen der Firma Puls stehen vor dem Haus. Vom Jüdischen Ordnungsdienst im Lager Westerbork haben die Deutschen kurzfristig einige Dutzend Männer mit Lastwagen hergebracht. Diese Ordner führen die registrierten Juden von der Synagoge in die Amstelstraat. Da warten schon die Straßenbahnen zum Muiderpoort-Bahnhof, wo die Züge nach Westerbork abfahren, bis ins Morgengrauen. Im Laufe des 27. Mai kommen etwa 3300 Juden aus Amsterdam im Lager Westerbork an.
    In diesen Tagen schreibt ein fünfunddreißigjähriger Beamter, der kurz zuvor aus einer östlichen Provinz nach Amsterdam gezogen war, in sein Tagebuch: »Während es vor 3–4 Wochen noch von Judensternen wimmelte, sind sie nun auf ein Minimum geschrumpft. Ich denke, in einigen Tagen wird das Judentum in den Niederlanden Vergangenheit sein.« Kein Bedauern sondern Genugtuung spricht aus diesen Worten. Sie stehen für eine Minderheit, doch auch dies gehört zum Gesamtbild.
    Am 28. Mai treffen die führenden Männer vom Jüdischen Rat zur 95. Sitzung in ihrem Büro im schönen alten Grachtenhaus Nieuwe Keizersgracht 58 zusammen. (1723 hat es ein jüdischer Bankier errichten lassen. Heute sind dort therapeutische Institute aller Art einquartiert.) Es liegt kaum fünf Minuten vom Waterlooplein und der großen sefardischen Synagoge entfernt. Das Protokoll zitiert den Vorsitzenden, Professor David Cohen: »Diese Woche war eine der verhängnisvollsten in der Geschichte der Amsterdamer Juden … An einem einzigen Tag wurde eine dreihundertjährige Geschichte zerstört.« Professor Cohen wünscht »jenen, die dahingehen, Kraft, um dieses schreckliche Schicksal tragen zu können«. Ein Blick in die Zukunft: »Uns bleibt nichts anderes übrig, als an bessere Zeiten zu glauben, und wir erwarten Rettung und Vereinigung mit jenen, auf die wir nicht verzichten können.«
    Dann kommt der Vorsitzende zur Gegenwart. Er habe tags zuvor mit den deutschen Besatzern gesprochen.: »Es steht fest, dass die deutschen Behörden die Fortführung der Arbeit des Jüdischen Rates wünschen.« Anschließend diskutiert der Rat, wie die Abteilungen mit weniger Personal neu organisiert werden können: »Man wird über Versetzungen von Mitarbeitern aus überbesetzten Abteilungen in Abteilungen mit Personalmangel nachdenken.« Der Weg der führenden Männer des Jüdischen Rates ist gradlinig, seit er sich auf einen Befehl der Deutschen im Februar 1941 bilden musste. Im Angesicht der Verfolgungen wollen sie eine jüdische Institution erhalten, die – »um Schlimmeres zu verhüten« – mit den Deutschen, den Verfolgern, zusammenarbeitet. Ihr letztes Ziel war, eine jüdische Elite vor der Vernichtung zu bewahren, die nach dem Krieg in den Niederlanden eine neue jüdische Gemeinschaft aufbauen konnte.
    Wie seit dem Juli 1942 füllten die Juden, die aus Amsterdam nach Westerbork transportiert wurden, weiterhin die Züge, die jeden Dienstag aus diesem Lager in den Osten fuhren. Im Frühjahr und Sommer 1943 wird die »räudige Schlange«, wie der Westerborker Chronist Philip Mechanicus diese Züge nennt, verlängert, um möglichst viele Deportierte möglichst schnell der Vernichtungsmaschinerie zuzuführen. Am 1. Juni 1943, es ist ein stiller regnerischer Morgen, »beläuft sich der Transport wieder auf dreitausend Mann«. Mechanicus beschreibt die Transporte: »Sie erfolgten in Viehwagen, die eigentlich zum Transport von Pferden vorgesehen sind. Die Deportierten liegen nicht auf Stroh, sondern zwischen ihren Essensbeuteln und ihrem wenigen Gepäck auf dem nackten Boden.« Vor der Abfahrt aus dem Lager Westerbork noch ein Schock: »Die Polizisten von Lippmann, Rosenthal & Co. folgen den Verdammten bis in den Zug: Sie pressen mit Drohungen und Maulschellen noch die letzten kleinen Besitztümer aus

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